Da haben wir den Glueckssalat
Tisch«, tadelt die Mutter. Ich sehe, dass sie Mühe hat, ernst zu bleiben.
» Ich kann nicht glauben, dass du gerade ›Pupsgeschichten‹ gesagt hast«, sagt der Vater mit leiser Stimme. Er wendet sich an das Mädchen. » Pia, Schatz, und auch kein iPad am Tisch.« Die Kleine runzelt die Stirn, ignoriert ihn aber.
» Heißt du Pia?«, frage ich das Mädchen, das älter ist als Gabe und zwei Zöpfe trägt, die aussehen, als hätte die Kleine sie selbst geflochten. Die Kleine nickt schüchtern. » Ich heiße auch Pia! Dann sind wir ja fast so was wie Zwillinge. Möchtest du die Dessertkarte?«
Ich spreche in gedämpftem Ton, damit es wie ein großes Geheimnis klingt. Pia nickt wieder und legt das iPad weg. Ich liebe Kinder. Für jeweils sechs bis acht Minuten.
» Juchu! Dessert!«, kräht Gabe.
» Danke.«
Die Mutter lächelt mich an, als ich den Kindern die Dessertkarte gebe. Sie kann nicht viel älter als dreißig sein, denke ich bestürzt. Das bedeutet, dass sie höchstens vierundzwanzig war, als sie ihr erstes Kind bekam. Scheiße, das sind nur noch zwei Jahre. Mir läuft allmählich die Zeit davon, um eine junge Mutter zu sein.
» Tisch fünf«, zischt Angelo mir zu, als ich das schmutzige Geschirr in die Küche bringe. » Mehr Knabberstangen.«
» Danke schön, neues Fräulein«, sagt gleich darauf einer aus der Runde an Tisch fünf, ein dicker Mann mit einem starken Brooklyner Akzent wie dem von Vic.
» Du hattest genug Knabberstangen«, fährt seine Tischnachbarin ihn an. » Angelo! Vorsicht mit den Kohlenhydraten bei dem hier!«
» Ich tue nur, was man mir sagt«, erwidert Angelo, während er an uns vorbeischwirrt.
» Das ist, weil er nie vergisst, dass ich ihn damals in der fünften Klasse vor Conor Barrys Faust gerettet habe!«
Die Hälfte der Gäste an diesem Abend scheint Angelo, Ricky und Vinnie schon ihr ganzes Leben lang zu kennen. Brooklyn ist das größte Dorf der Welt. Perry Comos Papa loves Mambo erklingt aus den Lautsprechern, und ich muss gegen das Bedürfnis kämpfen, laut mitzusingen.
» Wissen Sie schon, was Sie bestellen möchten?«
» Wir nehmen die Paprikapfanne mit Würstchen, das Huhn Romano, die Knoblauchspaghetti mit extra viel Knoblauch und eine große weiße Pizza für die Kinder. Ricky weiß, was damit gemeint ist. Bringen Sie uns noch etwas Knoblauchbrot, und sagen Sie Vinnie, mit extra Salbei und Zwiebelsalz.«
» Wird erledigt«, antworte ich. Sonderwünsche in einer kleinen Trattoria. Mutig.
» Ich will einen Saft!«, schreit das sommersprossige Kind neben dem Dicken.
» Beim letzten Mal, als du Saft getrunken hast, hast du angefangen zu sabbern und zu randalieren«, antwortet der Dicke. » Nein.«
» Er reagiert empfindlich auf Zucker«, erklärt die Frau.
» Er ist zuckersüchtig«, sagt der Mann.
Ich muss mich beherrschen, um nicht loszuprusten (die beste Menschenstudie aller Zeiten kann man beim Kellnern machen), und notiere die Bestellung. Ich lächle freundlich, wiederhole alles, und sie lächeln zurück. Dann gehe ich weiter, um die Bestellung in der Küche abzugeben, immer noch ein dämliches Grinsen auf den Lippen. Ich hätte nie gedacht, dass mir das Kellnern so viel Spaß macht. Das ist eine Art bezahltes Leutekennenlernen.
» Miss! Entschuldigung, Miss?«
Ich drehe den Kopf und sehe zwei Tische weiter ein paar Gäste, die verzweifelt winken. Sie sitzen nicht in meinem Bereich, aber ihre Kellnerin, Bianca, ist wie vom Erdboden verschluckt. Ich eile lächelnd zu ihnen hinüber.
Zwei Männer und zwei Frauen, vielleicht Mitte vierzig, in T-Shirts und zu kurzen Shorts. Sie sind von Einkaufstüten umgeben, die sie mit einem Schnürsenkel zusammengebunden haben– für den Fall, dass einer sie beklauen möchte, vermute ich. Zweifelsohne Touristen, die sich hier in einem Hotel einquartiert haben, um die hohen Übernachtungskosten in Manhattan zu sparen. Sofort wappne ich mich innerlich. Ich hatte in den letzten Tagen vier oder fünf ähnliche Tische mit Touristen und wurde jedes Mal wie eine Bürgerin zweiter Klasse behandelt. Einmal dürft ihr raten, warum.
» Wie kann ich…«
» Karte?«, sagt einer aus der Runde, ein Mann mit einer Schirmmütze, auf der PETE ’S GYM steht. Er schwitzt stark von der Anstrengung, die es seinen Körper kostet, um zu existieren. » Wir wollen Karte.«
» Wir wollen Essen bestellen«, artikuliert seine Sitznachbarin überdeutlich, eine ungepflegte Blondine mit einer Bauchtasche und künstlichen Fingernägeln. Sie
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