Da hilft nur noch beten
schien, als sei es aus und vorbei. Zehn Tage lang hatten unsere beiden Reisegruppen ganz verschiedene Routen und Ziele, bis wir uns dann per Zufall, weil der IFI-Bus kaputtgegangen war, auf einer großen Rinderfarm in der Nähe von Camagüey wiedergetroffen haben, der ‹Pecuaria Rectangulo›. Abends in Camagüey im berühmten ‹Cabaret Caribe› sitzen Jessi und er dann eng beieinander. Harte Bongo-Rhythmen und Mulatinnen, Mann! Da kannste nur stöhnen. Und unser kubanischer Führer zitiert auch noch ‘n paar Verse von Nicolas Guillen: ‹Dein Becken weiß mehr als dein Kopf und fast so viel wie deine Schenkel›. Wuthenow ist mit seinen Händen schon am Werke, und Jessica möchte sich am liebsten ausziehen und zu der halbnackten Mulattin auf die Bühne springen und zeigen, daß sie auch nicht schlechter ist.»
«Und nachher im Hotel…»
«… da haben dann mehrere Stockwerke gewackelt. Sie nach den drögen Ehejahren mit diesem Stück Holz da, dem Schmachtenhagen, er mit diesem Waldschrat von Frau zu Hause im Bett, unfruchtbar hoch drei. Er, Wuthenow, zwangsneurotisch versessen auf ein Kind, und sie, Jessica, schon immer etwas irre, ist völlig weg bei dem Gedanken, von ihm geschwängert zu werden. Ledige Mutter, autonomes Leben, ist ja mächtig in, aber wer kann als Vater seines Kindes schon einen Spitzengenossen von drüben vorweisen; bald wird er als deren Außenminister in der Welt herumreisen – und vielleicht hat das Schicksal mit ihm noch viel, viel Größeres vor… Da hatten sich jedenfalls auf kubanischer Erde zweie gesucht und gefunden…!»
«… und das mit dem Namen, das hängt damit zusammen…?» fragte Mannhardt noch.
«Ja. In Kuba lebt die alte Yoruba-Kultur, das Afrikanische, noch immer weiter, trotz allem Sozialismus, und Yemayá ist bei den Yorubas die Göttin des Meeres, der heilenden Wasser und – eben – der Mutterschaft.»
«Ah, ja…»
Vielleicht wäre der kubanische Exkurs noch weitergegangen, wenn nicht in dieser Sekunde das Telefon Laut gegeben hätte.
Ihr Atem stockte, sie sahen sich an. Doch noch Motivgruppe 2 (scharlachroter Zettel): der oder die Entführer mit der Lösegeldforderung?
«Nimm du mal ab», sagte Mannhardt. «Mir merkt man unter Umständen zu leicht den Polizisten an.»
Corzelius’ Rechte fuhr zum Hörer hinunter, als hätte sie ein glühend heißes Stück Eisen zu packen. «Ja, bitte…?»
Doch es war kein unbekannter Fremder, es war nur eine von Jessis vielen weiblichen Bekanntschaften, sie als Freundin zu bezeichnen wäre fast zuviel gewesen, obwohl ja Jessica vorhin bei ihrer Suche nach Zuspruch und Hilfe zuerst wohl an sie gedacht hatte. Aber wahrscheinlich nur, weil sie oft ganz in der Nähe in einer Szenen-Kneipe rumhockte.
«Wir wollen noch ‘n bißchen ‹downtown gehen› – kommt ihr mit…?»
«Toll, du, klar!» rief Corzelius mit libidinösem Reflex, denn nach seiner Trennung von Bramme und seiner Frau, dieser ganzen Scheidungsscheiße, hatte er Tatjana, seit er ihr begegnet war, immer wieder als «meine Einstiegsdame in die Droge Sex» bezeichnet, und er hatte sie hier nebenan schon auf der Bettkante gehabt, im Verlaufe einer Party, als Vera, eine andere Freundin aus Jessicas Kreis, auf der Suche nach ihrer Brille hereingekommen war; Rock wieder runter, Hose wieder hoch, und diesem vergeudeten Erregungstropfen weinte er noch immer nach. Die Erinnerung an diese Szene war so stark, daß sie das Elendsbild Jessica-Yemayá einen Pulsschlag lang total verdrängte und er große Mühe hatte, wieder umzuschalten. Als ihm alles wieder klar vor Augen stand – Yemayá entführt, Wuthenow bedroht, so hämmerte es in seinem Kopf, Jessica am Ende – , da schämte er sich, sogar in einer Situation wie dieser egoistisch, egozentrisch an nichts weiter zu denken als an seine Lust, und so korrigierte er sich auf der Stelle, schrie fast in den Hörer, daß er eine Darmgrippe habe, dauernd müsse, auf keinen Fall das Haus verlassen könne.
«Schade, du…» hauchte Tatjana und hatte auch schon wieder aufgelegt.
Wie auch immer, war es der Gedanke an Tatjanas engen Lederrock oder all das Erotische aus Kuba, von dem ihm Corzelius Bericht erstattet hatte: Mannhardt jedenfalls hielt es nicht mehr länger in Jessicas Wohnung; alles schnürte ihn ein, machte ihn fertig. «Ich muß mal raus ins Freie, nach dem Baby suchen, mich mal umhören. Nur hier sitzen und warten, daß…! Du bleibst ja hier bei Jessica.»
«Okay.»
So lief er durch die regennassen
Weitere Kostenlose Bücher