Da hilft nur noch beten
hinunter, berührte mit dem Mund den lippenzarten Bauch des Mädchens und pustete dann, prustete, erfreute sich am seligen Strampeln des Menschleins vor ihr, wie die kleinen Fingerchen durch ihre Haare fuhren, wie die Puttenbeinchen ihre Wangen streiften. «So…! Schluß für heute früh! Du kriegst mir sonst wieder dein Hickerchen, meine Süße…!» Vera griff nach Öl und Creme, hob das Mädchen an den Beinen hoch, küßte das verlockend weiche und rosige Pochen und präparierte es sorgsam für die langen Vormittagsstunden. «… schön stillgehalten hast du, brav, Katichen…! Das werd ich nachher gleich dem Papi schreiben.» Sie griff nach den Pampers. «Der wird vielleicht staunen, wenn er wiederkommt, wie groß unsere Katharina schon geworden ist! Mal sehen, was er dir diesmal mitbringen wird; einen kleinen Löwi vielleicht. Der macht dann ‹U-aaa!› Der Papi ist nämlich da, wo die Löwen sind, in Afrika ist er und baut da eine große, große Fabrik! Bleib schön liegen, Kati, die Mami macht jetzt einen Film von dir, und den schicken wir dann dem Papi hin nach Afrika, damit er dich da sehen kann!»
Vera bückte sich und nahm eine nicht eben mehr moderne Super-8-Kamera vom Badezimmerboden hoch, schaltete die aufgeschraubte Leuchte ein und filmte so lange, bis das Baby, das ganz offensichtlich Hunger hatte, unmutig ä-ä-ä machte und schon zum großen Geschrei ansetzte.
«Nicht doch, mein Kleines!» Vera nahm die Kleine hoch und trug sie ins Wohnzimmer hinüber, wo ihre gefüllte «Millipulle» schon im elektrischen Warmhalter stand. Sie setzte sich mit ihr in einen beigefarbenen Sessel, nahm das Fläschchen zur Wangenprobe heraus, fand es richtig temperiert und schob dann den Nuckel mit großer Vorsicht in das schon gierig schnappende Mündchen. «So… dann guten Appetit, mein ein und alles…!»
Sosehr die Kleine nun mit aller Kraft an ihrer Gummizitze zog, so wenig stellte sich jenes wohlig-katzengleiche Brummen ein, das Vera immer wieder in hohen Graden entzückte; statt dessen gab es einen wütenden Protest, ein zorniges Geschrei, Tritte mit den Füßchen, und Vera hatte alle Mühe, die Flasche wie ihre Brust vor den wild hämmernden und schon erstaunlich kräftigen Fäusten zu schützen.
Bis zur sekundenlangen Lähmung erschrocken, stand sie auf, legte das Baby, das nun völlig außer sich war, zur Sicherheit in das bereits vorhandene Ställchen und ging zum Fensterbrett, wo ihr großer Rettungsanker lag, das abc für junge Mütter. Mit zittrigen Fingern begann sie, nach den entsprechenden Rubriken zu suchen.
Draußen, niveaugleich mit ihrer Etage, fuhr die U-Bahn vorüber, die Hochbahn genauer gesagt, doch sie hatte heute keinen Blick für die Züge, die da vorüberglitten, keine zwanzig Meter weg von ihr, für die Gesichter der Fahrgäste, Deutsche, Türken, Rentner, Skinheads und Studenten, lange Haare, kurze Haare, weizenblonde, kolkrabendunkle.
Appetitlosigkeit… Verweigerung der Flasche, verminderte Trinkfreudigkeit… Zumeist eine körperliche Ursache… Fieberhafte Erkrankungen, Schnupfen, Darmstörungen, Mundfäule, Angina, Harnwegsinfektionen…
Lieber Gott, laß Katharina nicht krank werden…
Sie blätterte weiter, während das Baby nun schrie, daß sie fürchtete, man würde noch im obersten Stockwerk ihres recht hellhörigen Hauses zu schimpfen anfangen; von den direkten Nachbarn ganz zu schweigen.
Masern … Säuglinge bis zum dritten Lebensmonat gegen eine Infektion durch mütterliche Abwehrstoffe geschützt, dann zunehmend mehr und mehr empfänglich. Neun bis zehn Tage nach erfolgter Ansteckung die ersten Krankheitsanzeichen: Fieber, Husten, Schnupfen, Bindehautentzündung… «Hat doch Katharina nicht!» Aber: Weinerlichkeit, Mißstimmung, Appetitlosigkeit! Sie beugte sich über das Laufställchen. Und richtig: die Augen waren jetzt gerötet. Vom Weinen oder von den Masern?
Milumil… Das hatte sie. Als Flaschennahrung für Säuglinge aller Altersstufen geeignet und gut verträglich.
Das zu lesen war beruhigend. Aber dennoch: da stand das Fläschchen im warmen Wasser, überaus verlockend, und die Kleine wollte es nicht.
Weiter. Sie stieß auf eine Seite mit einer sehr ins Auge fallenden Skizze: Zwei Hände, ein Korken mit einer eingesteckten Nadel, eine brennende Kerze. Anbringen des Saugerloches mit einer zum Glühen gebrachten Stopfnadel.
Gott, das war es wahrscheinlich! Sie sprang auf, lief zum Fernseher, steckte die dort aufgestellte Kerze an, holte schnell aus der
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