Da hilft nur noch beten
Ohr zu haben: «Sehn Se: das ist Berlin…»
Dann stand er im Hausflur und fand Claus-Peter Tietz auch prompt auf dem Tableau des stillen Portiers, Vorderhaus, 3 Treppen, links, stiefelte nach oben und sah ein schönes Messingschild dicht neben einer kaffeebraunen Tür, deren dickes, reich verziertes Holz wahrhaft elefantenfest wirkte.
Irgendwo pingelte ein Telefon. Eine Katze miaute hinter einer Bodentür. Ein Stockwerk unter ihm hustete jemand, als übte er, um Frührentner zu werden, für eine satte Tbc. Ein Mädchen kicherte in einer Art und Weise wie früher Lilo immer, wenn sie wollte, daß aus seinem Grapschen was Echtes werden sollte. Eine Stereoanlage schickte ihr Negertrommeln-Bumbum durch mehrere Wände und Decken zu ihm hinüber. Es roch nach Bohnerwachs und ausgekippter Milch. Eine Fliege suchte auf seinem Kopf nach ranzigem Talg.
Er verspürte den Impuls, sich hier auf die Treppe zu setzen und so lange zu dösen… bis seine Mutter kam und ihm die Wohnungstür aufschloß. Junge, du hast ja schon wieder deine Schlüssel vergessen!
Er legte sein rechtes Ohr an die Tür und lauschte. Drinnen war offenbar keiner. Sollte er klingeln und warten? Wenn doch einer öffnete, fragen, ob denn der Herr Tietz nicht zugegen sei, er habe eine Hausratsversicherung abschließen wollen…?
Er tat es, obwohl es in der Nachbarwohnung eben irgendwie geklirrt hatte.
Nichts, in der Tat niemand da.
Einbrechen konnte er ja schwerlich. Zum einen hatte er kein passendes Werkzeug dabei, und zum anderen war er viel zu sehr Beamter, als daß er das gewagt hätte. Aber dem Glücke ein wenig nachhelfen, das mochte schon angehen…
Er besann sich auf die Tricks, von denen er in seinem langen Berufsleben schon einmal zumindest gehört hatte. Er konnte sein Taschenmesser nehmen und das Glas des Türspions zertrümmern, dann mit Hilfe einer Gummischlaufe oder eines festen Drahts versuchen, die Klinke innen nach unten zu ziehen beziehungsweise zu drücken. Das hätte aber Lärm gemacht, und außerdem stürmten unten gerade Kinder ins Haus, polterten nach oben, sahen ihn und stutzten.
Er drückte auf den Klingelknopf und bemühte sich, sie gar nicht wahrzunehmen.
«Herr Tietz is nich da!» rief ein knapp zehnjähriges Mädchen. «Der is vorhin mit sein Auto wegjefahrn…»
Mannhardt nutzte die Chance und sagte, daß er in der Wohnung eben noch Stimmen gehört habe und ein Baby schreien.
«Der hat keen Baby!» Die Kinder stürmten weiter.
Er tat so, als ginge er wieder, machte aber, als sie oben von ihrer Mutter eingelassen worden waren, auf dem nächsten Treppenabsatz kehrt, hätte zu gerne gewußt, wer denn seinen Freund John F. bezahlte. Und wenn wirklich die Leute von drüben, was hatten sie mit Yemayás Verschwinden zu tun? Denkbar war ja schon, daß sie Wuthenow mit Hilfe seines ideologisch anrüchigen Babys ganz einfach zwingen wollten, von seiner Gorbatschow-Verehrung zu lassen.
Mannhardt, halt dich raus aus diesem Spiel, das ist für dich ‘ne Nummer zu groß!
Er überhörte es, hatte Jessica vor Augen und ihr Elend, beugte sich nach unten, um mit Hilfe seines Kugelschreibers die innere Klappe des Briefschlitzes ein wenig anzuheben; die äußere hielt er mit der freien Hand. Der Hundedreck an seinem Schuh verströmte einen solchen Gestank, daß er sich fast erbrechen mußte.
Als er sich jetzt hinkniete, konnte er den Flur meterweit nach hinten blicken; die Zimmertüren standen alle offen und ließen jede Menge Licht herein.
Viel zu sehen gab es nicht. Schuhschrank und Schirmständer, Spiegel, Flurgarderobe, zwei Latschenpaare und ein Karton mit einer großen Aufschrift: Pampers.
Es dauerte lange, bis er begriff, daß dieses Windeln hieß; bei den eigenen Kindern lag das schon ewig lange zurück.
Also doch!
Da hörte er eine Männerstimme, böse-aggressiv, eine halbe Körperlänge hinter sich.
«Was machen Sie denn hier…!?»
15.
Wuthenow stand am Fenster und sah auf Jessicas zillehaften Hinterhof hinunter, hielt eine unscharf-schwärzliche Fotokopie in den Händen und dozierte, ohne sie indessen anzusehen, wie vom Katheder herab.
«Dies hier stammt aus einem unserer Standardwerke, ist sozusagen offiziell. Ich zitiere: Fünf Monate vor dem Überfall auf die Sowjetunion ließ der Admiral Canaris die Stäbe ‹Walli I›, ‹Walli II› und ‹Walli III› bilden. Mit Hilfe des ‹Walli III›-Stabes wurden später unzählige Verbrechen gegen die Menschlichkeit organisiert und Tausende
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