Da hilft nur noch beten
Erlösung; die Todesangst war so immens, daß alles in ihm schrie: Laß los, und du hast für immer deine Ruhe!
Doch mit einiger Wahrscheinlichkeit hätte er es dennoch geschafft, sich ins rettende Strebengewirr unter der Brücke zu hangeln, wenn ihm nicht einer seiner Verfolger, sich weit übers Geländer beugend, sein Walkie-talkie an den Hinterkopf geworfen hätte.
So aber stürzte er schreiend in den schwarzen Schlund hinunter.
14.
Am Morgen des dritten Tages, an dem sie nach Yemayá suchten, saß Mannhardt in einem schnell an seiner Tankstelle angemieteten riadgelben Passat, um an der Grenze Invalidenstraße auf den Genossen Wuthenow zu warten, das heißt, wohl weniger auf ihn als auf seinen mysteriösen Schatten, dieses John F. Kennedy-Double, das ihn ja leider Gottes vorgestern an der Wilmersdorfer Straße ohne große Mühe abgehängt hatte. Den hätte er auf seine alten Tage doch gerne mal gesprochen, denn irgendwie war er zu naiv, zu überzeugt vom Guten im Menschen und der Ordnung der Welt, um an die Existenz solcher Leute wirklich zu glauben; Kundschafter, Geheimdienstler, Doppelagenten. Sein Intellekt sagte ihm natürlich, daß es stimmte, doch sein Gefühl verbot es ihm, dies alles als Wahrheit zu buchen, und da es nun so gar nicht in sein Beamtenweltbild paßte, hatte er es zu verdrängen. Da war er ganz von seiner Großmutter und deren Maxime geprägt: Ich glaube immer nur das, was ich mit meinen eigenen Augen sehe. Bester Schutz gegen alles Manipuliertwerden, aber wie denn ohne Vertrauen in andere überhaupt leben? Auf einer schmalen Bühne spielen sie uns etwas vor, dachte er, das große glasnost -Stück, wie doch alles voll durchschaubar und öffentlich sei, das Eigentliche aber vollzieht sich hinter der Bühne, wo alles nur ein schwarzer Kasten ist. Und daher kamen sicher auch John F. und Wuthenow, zogen kurz einmal an ihm vorüber und verschwanden dann wieder im Dunkel, ganz so wie die hölzernen Figuren einer Weltenuhr in einem Rathaus- oder Kirchturm oben.
In einem alten SPIEGEL las er etwas über CSS, einen berlintypischen Anwalt, Christoph Schmidt-Salzmann, Dr. und 40, der in Kreuzberg Altbauten aufgekauft und, nachdem es zufälligerweise einige Male gebrannt hatte, viele Millionen am Bau hochsubventionierter Sozialwohnungen verdient hatte. Champagnerpartys gefeiert, mit der Überschall-Concorde eben mal nach Caracas geflogen, hochkarätige Kontakte zur Berliner Unterwelt, aber auch zur sonstigen Führungselite der Stadt, sprich: Politikern, Rechtsanwälten, Architekten und Bauunternehmern. Bis dann am 2. Oktober 1985 der Immobilienmakler Günter Schmidt gegen ein Uhr nachts in einer Tiefgarage angeschossen wird und der Polizei eröffnet, daß da sein ehemaliger Geschäftspartner CSS dahinterstecke.
Mannhardt war sich ziemlich sicher, daß auch die Schüsse auf Corzelius nur aus einer Ecke kommen konnten, die so ähnlich war: Baulöwen und Sanierungsmafiosi, die bei ihren riesigen Gewinnspannen schon einmal hunderttausend Mark und mehr aufwenden konnten, um einen gefahrbringenden Schnüffler abzuschrecken oder auszuschalten.
Die entscheidende Frage war aber einzig und allein, ob sie auch Yemayá entführt hatten, um Corzelius, den sie ja für ihren Vater halten mußten, noch mehr unter Druck zu setzen. Und ob C. C. über ganz bestimmte Berliner Affären nicht doch wesentlich mehr Erkenntnisse hatte, als er ihm gegenüber zugeben wollte?
Er legte den SPIEGEL zur Seite, um sich dem Tagesspiegel zu widmen, wußte zwar genau, daß sie vom frühen Redaktionsschluß her noch gar nichts über Corzelius berichten konnten, suchte aber dennoch danach, fand nicht viel Bewegendes:
80 Fahrräder gestohlen und 60 Grabsteine umgestürzt
Termingerechte Fertigstellung des Kammermusiksaals weiter fraglich
Volksschwimmen in Plötzensee im Zeichen der 750-Jahr-Feier
FDP-Landesausschuß für den Tiergarten-Tunnel
Mannhardt feixte klammheimlich: Wieder Hoffnung für die, deren Bestechungsgeldkonten bislang noch leer geblieben waren.
Boxstaffel der USA kommt ohne die Weltmeister…
Er ließ die Zeitung auf den Rücksitz flattern, fragte sich, ob er in Bramme seinem «Tagesspiegel» (RERUM COGNOSCERE CAUSAS) übermäßig nachtrauern würde. Nein. Höchstens zwei Tränen waren zu erwarten: eine für die edel-demokratischen Sentenzen des Rubrikenschreibers -thes, eine für die Fernsehkommentare Michael Stones. Gut der Sport, gut die berlinischen Seiten, alles andere
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