Da liegt ein Toter im Brunnen - ein Krimi mitten aus der Provinz
diskutiert, was an der Homöopathie Hokuspokus ist und was nicht. Ebenso, was in der Schulmedizin ausgemachter Blödsinn ist, der nur dem Gewinn der Pharmaindustrie dient. Bei alldem hat sich für Bianca in letzter Zeit ein Thema herauskristallisiert.«
»Seit etwa einem halben Jahr?«
»Ja, ungefähr seitdem.«
»Das Thema, um das es ging, war: Herzschwäche.«
Iris Adler sah Rubin erstaunt an. »Ja, tatsächlich! Darum ging es immer wieder. Sagen Sie nur, das hat etwas mit dem Medikament zu tun, das Sie mitgebracht haben?«
Rubin nickte und schilderte Iris Adler kurz die Situation.
»Bianca hat versucht, den armen Serkan zu heilen?«, sagte sie leise.
Wieder nickte Rubin.
»Aber warum? Stand sie ihm so nahe?«
»Überlegen Sie«, sagte Rubin.
Iris Adlers Augen weiteten sich. »Nein, das gibt es doch nicht! Bianca hatte eine Affäre!«
»Warum wundert Sie das?«
Iris Adler spitzte die Lippen, und ihre Augen funkelten. »Manchen Frauen traut man so etwas zu, anderen nicht. Und Bianca gehörte eindeutig zu den Frauen, zu denen eine Affäre nicht passt. Sie ist seit Jahren liiert, sie ist ordentlich, gewissenhaft, verantwortungsbewusst. Nein, sie hat keine Affäre!«
»Vielleicht war es nicht nur eine Affäre«, sagte Rubin. Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und fragte: »Kann ich mich noch einen Moment umsehen?«
»Es sind Biancas Sachen, nicht meine. Ich bin drüben, wenn Sie mich brauchen.«
Rubin betrachtete die Bilder an den Wänden. Die Kunstdrucke zeigten Werke von van Gogh und Monet.
Es gab auch abstrakte Bilder auf Leinwand. Das mussten Serkans Bilder sein. Die Farben waren grell und dick aufgetragen und bildeten an vielen Stellen Nasen. Rubin erinnerte sich unwillkürlich daran, dass sein Großvater ihn immer geschimpft hatte, wenn er beim Streichen des Lattenzauns Nasen hinterließ.
Auf dem Tisch befanden sich Bücher, akkurat in Buchstützen angeordnet. Die meisten waren Werke zur Naturheilkunde. Doch die interessierten Rubin nicht. Er suchte nur ein einziges Buch, eine Sammlung mit den schönsten Liebesgedichten in einem geblümten Einband.
Auf dem Tisch lag es nicht. Stattdessen entdeckte Rubin etwas anderes: einen Reiseführer Türkei und ein Wörterbuch Deutsch/Türkisch. Direkt daneben der Stadtplan der Großen Stadt. Doch die Gedichte waren nirgendwo.
Hatte Bianca sie vielleicht zu Hause?
Er ließ sich auf einem Stuhl nieder und dachte nach. Freitag gesellte sich zu ihm, und Rubin kraulte ihm den Hals.
Er erinnerte sich daran, dass er als Junge, wenn er etwas vor seinen Eltern hatte verstecken wollen, häufig den Fehler gemacht hatte, einen Platz zu wählen, der zu entlegen war. Sicherer war ein Versteck, das gar keins war und deshalb von niemandem beachtet wurde.
Rubin ging zurück in den Verkaufsraum und fragte Iris Adler: »Hat Bianca einen festen Platz an der Theke?«
»Die Kasse, vor der Sie stehen.«
Die Kasse stand auf einer Verkaufstheke mit den üblichen Kleinartikeln wie Salbeibonbons, Hautcremes und Traubenzucker.
Darunter, für den Kunden unsichtbar, gab es offene, tiefe Fächer.
Rubin ging in die Knie und entdeckte eine Tasse Tee, ein angebissenes Brot und ein zerfleddertes Telefonbuch. Er griff in das Fach. An dessen Ende ertastete er etwas Hartes und Flaches.
Er zog hervor, was er gesucht hatte: »Die schönsten Liebesgedichte«.
Iris Adler hatte ihn neugierig beobachtet, jetzt nickte sie anerkennend.
»Ich glaube, ich habe mich immer in Bianca getäuscht«, sagte sie.
Rubin schlug die erste Seite auf. Er zumindest hatte sich in Serkan nicht getäuscht. In fast kalligrafischer Schönschrift las er die folgende Widmung:
Für meine Bianca – du schlank und rein wie eine Flamme,
du wie der Morgen zart und licht
In Liebe, auf ewig Dein, Serkan
Rubin klappte das Buch zu und bat Iris Adler um die Adresse der gemeinsamen Wohnung von Bianca Reich und Frank Schirner.
Als er mit Freitag die Apotheke verließ, war ihm seltsam zumute.
27
Bianca öffnete die Tür. Sie sah ihn aus geröteten Augen an, dann schlug sie den Blick nieder.
»Darf ich eintreten?«, fragte Rubin.
Sie gingen durch einen schmalen Flur, der einen ähnlichen Geruch verströmte wie das Café Schirner. Eine süße, trockene Mischung aus Backteig, Vanille und abgestandenem Kaffee. An der Garderobe hing Franks Bäckerkleidung, direkt daneben befand sich ein zweiteiliger Spiegel in einem pastellgrünen Rahmen. Zwei Türen gingen nach links ab, eine nach rechts. Zum Wohnzimmer
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