Da liegt ein Toter im Brunnen - ein Krimi mitten aus der Provinz
dunkelrot.
»Sie sehen ja, Bianca«, keuchte Rubin, »wie es um mich steht. Heute Nachmittag hatte ich noch nichts. Urplötzlich ist es da. Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mir dieses homöopathische Mittel genannt haben. Ich werde es sogleich bei Frau Adler bestellen. Ich habe damit ein viel besseres Gefühl als mit den Chemiebomben, die zu sehr den Magen angreifen.«
Er wandte sich zur Tür, Freitag sprang an seine Seite. Der Hauptkommissar hustete, als hätte seine letzte Stunde geschlagen.
28
»Wie schöne isse, wenn Amor schieße seine Pfeile, nur isse dumm, wenn treffe falsche«, rief Ricardo und warf die Hände in die Höhe. Er klopfte Bernstein auf die Schulter, der nicht einmal zusammenzuckte.
Sie saßen bei Ricardo im Restaurant, an einem der hinteren Tische, und genossen Bier und Wein. Rubin hatte den beiden soeben berichtet. Freitag hatte einen Knochen spendiert bekommen, den er in aller Gemütsruhe zerkaute.
Bernstein sagte: »Schlank und rein wie eine Flamme, das ist gut, das hätte mir auch einfallen können! Na ja, vielleicht doch ein bisschen zu schwülstig!«
Rubin grinste.
Bernstein hatte für diesen Abend einen Seemannspullover in meliertem Grau mit hohem Rollkragen gewählt. Er trug Cordhosen, die er auf einem Wochenmarkt in Manchester erstanden hatte, dazu eine Baskenmütze und seine Lesebrille, die er nicht brauchte.
Sein Notebook stand zugeklappt auf dem Tisch.
»Also haben wir ein romantisches Liebesdrama – wie herzergreifend!«, sagte Bernstein. »Mord aus Eifersucht! Romeo trifft Julia, doch der Bäckersmann hat etwas dagegen!«
»Nicht so böse, Bernstein«, sagte Rubin. »Frank Schirner ist kein Dummkopf und auch kein eiskalter Killer.«
»Trotzdem ist Serkan jetzt tot wie eine tote Maus in der Backstube.«
Rubin nickte.
War es zutreffend, wenn man behaupten wollte, dass Rubin Frank von Anfang an im Verdacht gehabt hatte? Das wäre vielleicht zu viel gesagt. Allerdings hatte Rubin eins stutzig gemacht: Frank hatte bei ihrem ersten Gespräch zu vehement Serkan, Hassan und den Laden abgelehnt. Die Reaktion war unangemessen gewesen. Warum hatte er sich so verhalten? Zum einen wollte Frank seinem Vater gefallen. Frank tat das meiste in seinem Leben, um dem Familientyrann zu gefallen. Das war die eine Seite. Andererseits hatte Rubin sich gefragt, warum er so heftig ablehnend auf einen Menschen reagiert hatte, von dem er behauptete, er kenne ihn gar nicht.
Beim zweiten Treffen in der Polizeiinspektion war die Reaktion auf Serkan sogar noch leidenschaftlicher gewesen, erweitert um eine seltsame Form von Unsicherheit. War es vielleicht das schlechte Gewissen, das ihn hatte zittern lassen? War es auch das schlechte Gewissen, das ihn angetrieben hatte, Rubin aufzulauern? Im Park und am Abend, als er »Da Ricardo« verlassen hatte? Rubin war von den Verfolgungen nicht eingeschüchtert gewesen. Sie hatten auf ihn eher wie ein Spiel gewirkt, ein Räuber-und-Gendarm-Spiel.
Am Mittag in der Polizeiinspektion hatte Rubin sich zu folgender Taktik entschlossen: Er hatte, um Frank aus der Reserve zu locken, den Charakter Serkans ein wenig aufpoliert, hatte einen tadellosen, überaus sympathischen Menschen beschrieben. Wenn Frank der Täter war, dann würde ihm jetzt unmissverständlich klar werden, dass er einen der Guten auf dem Gewissen hatte. Da er kein eiskalter Killer war, musste ihn das entsetzen.
So war es auch geschehen. Frank hatte die wahre Dimension seiner Tat erkannt und konnte sich nicht anders helfen als durch verzweifelte Überreaktion, die ihn im selben Moment enttarnte.
Rubin hatte dieses Verfahren schon häufiger angewendet. Er wusste, wir Menschen sind von unseren Handlungen allzu häufig derart überzeugt, dass wir blind werden für das wahre Ausmaß dessen, was wir tun. Unsere Motive scheinen unsere Taten zu rechtfertigen, sie erscheinen als gut, nur weil wir dieses oder jenes Motiv haben.
Gleichzeitig zeigen uns unsere Taten, wer wir sind. Das hatte auch Frank Schirner zuvor erkannt, allerdings auf seltsame, auf indirekte Weise. Er hatte vom Café aus beobachtet, wie sein Vater Rubin angegriffen hatte. In dieser Szene sah er seine eigene Tat gespiegelt. Daraufhin war der verzweifelte Wunsch in ihm aufgestiegen, seine Tat ungeschehen zu machen. Er hatte den naiven Gedanken, sich durch eine Entschuldigung der Tat seines Vaters von seiner eigenen Tat reinzuwaschen. Die Entschuldigung war in Wahrheit ein stummes Geständnis.
Nun bestand die ganze Kunst darin, den
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