Da liegt ein Toter im Brunnen - ein Krimi mitten aus der Provinz
sie Regenschirme trugen.
Rubin und Bernstein ließen die Schirme so lange aufgespannt, bis sie nahe bei Frank waren, der anscheinend noch immer nicht erkannt hatte, wer sich ihm näherte.
Dann, besonnen und ohne jede Eile, senkte Rubin als Erster den Schirm. Es wirkte wie das Abnehmen einer Maske. Kurz drauf zeigte Bernstein sein Gesicht, nachdem er seine letzten Schritte deutlich beschleunigt hatte.
Frank war starr vor Entsetzen.
»Guten Abend, Frank«, sagte Rubin gelassen. »Erwartest du heute Abend jemand Bestimmten hier am Löwenbrunnen? Oder vielleicht etwas Bestimmtes? Ein Beweisfoto vielleicht?«
Frank stotterte: »Beweisfoto? Was soll das heißen? Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, Herr Rubin. Ich habe mir nur ein bisschen die Beine vertreten wollen.«
Bernstein grinste und sagte: »Nun ja, mein lieber Lustwandler, dann interessiert es dich wahrscheinlich auch nicht, dass das Foto in Wahrheit ein Gemälde ist.«
Rubin griff in seine Manteltasche und zog die Kunstpostkarte heraus.
»Die hier hast du in Serkans Wohnung übersehen.«
Er hielt das Bild der Engel von Chagall in die Höhe.
Frank schüttelte den Kopf und sagte mit schwacher Stimme: »Das sagt mir nichts. Wirklich nichts.«
Rubin drehte die Karte um und zitierte Biancas Worte an Serkan auf Deutsch, so gut er sie in Erinnerung behalten hatte.
Frank begann zu schwanken, er riss sich die Kapuze vom Kopf und suchte am Löwenbrunnen Halt.
Unterdessen hatten auch Jana Cerni und Bianca ihr Versteck verlassen. Wie verabredet erschienen sie jetzt am Brunnen.
Beim Anblick seiner Freundin überfiel Frank blankes Entsetzen. In wirrem Wechsel starrte er auf sie, seine Sporttasche in ihrer Hand und auf Rubin.
Bianca sprach zunächst keinen Ton und schüttelte nur den Kopf. Dann, langsam und überlegt und in keiner Weise aggressiv, sagte sie:
»Das hätte ich nie von dir gedacht, Frank.«
Frank verzog sein Gesicht unter Qualen und rief heiser: »Es ist nicht so, wie ihr denkt. Es ist alles ganz anders. Ich …«
Doch bei den letzten Worten versagte seine Stimme, er rang keuchend nach Atem. Alle konnten das Drama verfolgen, das sich in seinem Kopf abspielte.
Dann, ganz plötzlich, fand Frank seine Fassung wieder. Er holte einmal tief Luft, spannte seinen Körper –
– und lief davon.
Bernstein hatte damit gerechnet. Er warf seine rote Weste ab und nahm augenblicklich die Verfolgung auf. Frank rannte über das Kopfsteinpflaster in Richtung Polizeiinspektion, Bernstein war ihm dicht auf den Fersen. Als die beiden die Häuserecke erreichten, schlug Freitag an. Er wollte gerade zum Lauf ansetzen, da rief Rubin in letzter Sekunde:
»Freitag, hierher! Sofort!«
Freitag ließ von der Verfolgung ab und bellte den Läufern hinterher, wusste aber nicht, was er stattdessen tun sollte. Rubin wiederholte seinen Befehl, Freitag folgte und trabte zum Löwenbrunnen, während Frank und Bernstein bereits im Labyrinth der Gassen verschwunden waren.
Für Minuten konnten die Zurückgebliebenen keinen der beiden mehr sehen.
Rubin stand am Löwenbrunnen und ließ den Marktplatz nicht für einen Moment aus den Augen. Er hatte kurzzeitig überlegt, ob er auch die Verfolgung aufnehmen sollte, doch er wusste aus Erfahrung, dass er dabei keine gute Figur machen würde.
Er vertraute voll und ganz dem Trainingszustand seines Freundes. So konnte es nur eine Frage der Zeit sein, bis Bernstein Frank eingeholt haben würde. Eine Zeit, die jedoch langsam, zäh und angespannt verstrich.
Schließlich tauchte Frank Schirner wieder aus der Dunkelheit auf. Er bog aus einer Gasse hinter der Adler-Apotheke, sein Kopf war hochrot. Seinen Mantel hatte er irgendwo abgeworfen. Dicht hinter ihm lief Bernstein in kräftigen, regelmäßigen, wohlgesetzten Schritten. Obwohl er fast doppelt so alt war wie Frank, keuchte er nur halb so laut.
Frank rannte schnurgerade auf den Löwenbrunnen zu. Wollte er sich nun doch stellen? Rubin musste Freitag am Halsband fassen, damit er nicht dazwischenging.
Frank kam abrupt vor Rubin zum Stehen. Er starrte ihn an, leicht vornübergebeugt, wie auf der Lauer, keuchend und mit tiefer Verachtung in den Augen. Er raunte:
»Okay, es hat ja keinen Sinn. Ich gebe es zu. Aber ich kann alles erklären.«
Bernstein blieb zwei Schritte hinter ihm. Bianca trat auf sie zu. Sie hatte Tränen in den Augen, und es war nicht klar, was sie vorhatte. Sie wirkte fast so, als wolle sie Frank in den Arm nehmen, um ihm zu verzeihen. Ihre Blicke kreuzten sich, Frank
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