Da muss man durch
Filofax zu. «Wie Sie meinen, Dr. Schuberth. Wobei Taxis und Mietwagen rausgeschmissenes |76| Geld sind, wenn Sie mich fragen. Einen schönen Abend noch.» Er schließt die Tür.
«Wünsche ich Ihnen auch, Herr von Beuten.» Korinthenkacker.
Ich schalte den Fernseher ein und beginne zu zappen. Die Auswahl ist beeindruckend. Ich halte den Umschaltknopf gedrückt und
jage nun im Halbsekundentakt durch Shows, Nachrichtensendungen, Dokumentationen, Spielfilme, Magazine und Werbeblöcke.
Sprach- und Musikfetzen untermalen den Bilderrausch. Die Welt in einem bunten, zappelnden, lärmenden Schnelldurchlauf.
Ich halte erstaunt inne. Was war das? Langsam schalte ich ein paar Sender zurück auf der Suche nach einem Bild, das ich gerade
gesehen habe, oder vielmehr: geglaubt habe, zu sehen.
Wieder klopft es.
«Herein», sage ich, während ich ungläubig auf den Bildschirm starre, weil ich nun gefunden habe, was ich suche. Es ist
eine chinesische Sendung.
Die Badezimmertür öffnet sich, und Audrey erscheint. Sie sieht, dass ich gebannt zum Fernseher blicke. «Du sprichst Chinesisch?»
«Nein», sage ich.
Sie überlegt kurz. «Aber du willst es lernen.»
Ich schüttele den Kopf.
«Aha! Dann zeigst du also gerade typisch männliches Fernsehverhalten. Du siehst dir etwas an, was du nicht verstehst. Das
macht dir aber nichts aus, weil die Sendung dich sowieso nicht interessiert. Richtig?»
«Falsch. Ich hab das per Zufall gefunden», erkläre ich und zeige auf den Bildschirm. «Der da ist ein Freund von mir. Er heißt
Bronko.»
|77| Audrey blickt genauer hin und sieht den langhaarigen, schielenden Bronko, der von vier Herren in schwarzen Anzügen eskortiert
wird.
«Er sieht nett aus», stellt sie fest. «Was macht er da?»
«Keine Ahnung. Er scheint in Schwierigkeiten zu stecken.» Ich starre weiterhin auf den Bildschirm. «Wird er da gerade abgeführt?
Ist das ein Gerichtssaal oder ein Gefängnis oder was?»
Audrey mustert das Gebäude, das Bronko und die dunklen Herren durchschreiten. «Ich kann nur einen Gang erkennen. Könnte alles
Mögliche sein.»
Jetzt sind Bronko und seine Begleiter an einer Tür angelangt. Die Stimme des Kommentators klingt aufgeregt. Die Tür wird geöffnet,
und im gleichen Moment sieht man Hunderte Asiaten, die Bronko zujubeln. Der tritt nun durch die Tür und hebt die Arme, woraufhin
der Jubel frenetisch wird.
«Ist er vielleicht ’n Rockstar?», mutmaßt Audrey.
Ich schüttle erstaunt den Kopf. «Eigentlich ist er Künstler. Aber er hat bislang kaum Bilder verkauft, soweit ich weiß.»
Wie zur Bestätigung vollführt die Kamera nun einen rasanten Flug über den Platz, den Bronko gerade betreten hat, und zeigt
dabei großformatige Gemälde, die die umliegenden Fassaden schmücken und von riesigen Scheinwerfern in gleißendes Licht getaucht
werden.
«Sieht so aus, als ob er in China etwas mehr Erfolg hat», stellt Audrey nüchtern fest, während Bronko unter lauten Fanfarenklängen
eine Bühne besteigt, auf der eine paar festlich gekleidete Damen und Herren auf ihn warten, offenbar um ihm irgendeinen
Preis zu überreichen. Bronko verbeugt sich vor seinen applaudierenden und johlenden Fans.
|78| Im nächsten Moment endet der Bericht, und das Bild eines Sprechers, der wahrscheinlich den nächsten Beitrag anmoderiert,
erscheint. Ich bin immer noch perplex und schalte den Fernseher ab.
«Wusstest du das nicht?», fragt Audrey.
«Ich wusste, dass Bronko in China ist, aber dass er da eine Blitzkarriere hingelegt hat, davon hatte ich keine Ahnung.»
«Ich denke, er ist dein Freund.»
«Ist er auch, aber wir kennen uns noch nicht so lange. Er hat eine Weile bei mir gewohnt und ist dann vor ein paar Monaten
nach Shanghai gegangen. Außer einer Postkarte habe ich seitdem kein Lebenszeichen von ihm erhalten.»
«Warum hast du ihn nicht einfach mal angerufen?»
«Er hat kein Handy. Und ich weiß nicht, wie ich ihn sonst erreichen kann.» Während ich das sage, merke ich, dass ich es
bedauere, so lange nicht mit Bronko gesprochen zu haben.
«Er hat sicher im Moment eine Menge zu tun. Er wird sich schon melden», versucht Audrey mich aufzumuntern.
Ich nicke. Ist kaum ein halbes Jahr her, dass Bronko mich durch die Gegend chauffiert hat, weil ich meinen Führerschein
versoffen hatte und er Geld brauchte. Wir saßen mit Schamski und Günther in meiner Küche, tranken Wein und versuchten herauszufinden,
was das Leben mit uns noch vorhaben könnte.
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