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Da muss man durch

Titel: Da muss man durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Rath
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es definitiv zu spät.»
    «Aber das macht’s ja nur noch schlimmer», maule ich. «Wenn du sagen würdest, dass ich dir nie wichtig war und wir beide
     nur eine kurze Affäre vor deiner Hochzeit hatten, |91| dann könnte ich mich wenigstens damit trösten, dass ich von Anfang an keine Chance hatte.»
    «Du glaubst, ich wäre mit dir am Tag vor meiner Hochzeit ins Bett gegangen, nur weil ich schnellen Sex wollte?» Sie klingt
     nun richtig sauer. «Für wen hältst du mich eigentlich? Du Arsch!»
    Jetzt ist sie zwar auf hundertachtzig, aber auch ehrlich. Vielleicht bringt uns das weiter. «Bist du glücklich?», presche
     ich vor. «Gibt Timothy dir all das, was du dir wünschst?»
    «Er liebt mich. Und er tut alles, um mich glücklich zu machen», wehrt sie sich und umschifft eine direkte Antwort.
    «Uhhh, er tut alles, um mich glücklich zu machen», äffe ich sie nach, und als würde dieses Foul noch nicht genügen, füge
     ich hinzu: «Das tut mein Hund auch!»
    Eine Spitze zu viel, ich sehe es an ihrem Gesicht. Wortlos dreht sie sich um und will gehen. Ich springe nun ebenfalls auf.
     «’tschuldigung! Warte!»
    Sie hält inne.
    «Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht verletzen.»
    Sie dreht sich um, und mit leichtem Erschrecken sehe ich, dass sich Tränen in ihren Augen bilden. Sie schluckt sie hinunter.
     «Ich liebe Timothy, und er liebt mich», beginnt sie. «Er ist vielleicht nicht so romantisch, völlig verdreckt bei meiner
     Hochzeit aufzutauchen   …»
    «Ich musste durch einen schlammigen Fluss waten», ergänze ich wahrheitsgemäß. Sie muss ein wenig lächeln.
    «…   aber er weiß, was er will. Und man kann sich auf ihn verlassen.»
    Jetzt durchweht auch mich ein Anflug von Trauer, denn ich verstehe, dass mein Zaudern Iris geradewegs in die |92| Arme von Timothy getrieben hat. Und gerade jener Moment bei ihrer Hochzeit, in dem ich ihr nicht gesagt habe, was ich für
     sie fühle, muss ihr klargemacht haben, dass sie mit Timothy die richtige Entscheidung getroffen hat. Sie sieht mir an,
     was ich denke, und wirkt nun etwas hilflos. «Du hast doch längst mitbekommen, was hier läuft. Meine ehrwürdige Familie sammelt
     Lebenslügen wie andere Leute Briefmarken. Großvater trinkt, weil er unglücklich ist. Er hat seit Jahren ein Verhältnis. Jeder
     weiß das, niemand spricht darüber. Meine Schwester vögelt sich durch die Weltgeschichte, und mein Vater lebt mit einer Frau
     zusammen, die fünf Jahre jünger ist als ich.»
    Sie sieht das Erstaunen in meinem Gesicht.
    «Ja. Sie heißt Ludmila und war Audreys Kindermädchen. Für Großmutter existiert sie nicht, deshalb nimmt sie nie an Familientreffen
     teil.»
    Der Musterschüler buhlt um die Gunst seiner Mutter. Das erklärt einiges.
    «Ich will das alles nicht», sagt Iris, und wieder schluckt sie ein paar Tränen hinunter. «Ich will eine Beziehung, und
     ich will Beständigkeit. Und ich will eine klare Entscheidung für ein gemeinsames Leben.»
    «Aber das will ich doch auch», erwidere ich, als wären damit alle Probleme vom Tisch, merke aber im gleichen Moment, dass
     ich Idiot genau das viel früher hätte sagen müssen. Bei unserem Rendezvous beispielsweise. Oder bevor wir miteinander geschlafen
     haben. Oder gleich danach. Oder spätestens am Tag der Hochzeit. Oder   … oder   … oder. Ich könnte mir selbst in den Arsch treten. Mit wachsender Verzweiflung schaue ich in ihre traurigen Augen.
    «Lassen wir es so», sagt sie leise.
    Nein. Diesmal gebe ich nicht so schnell auf.
    |93| «Gib mir eine Chance», bettle ich.
    Sie sieht mich an, kaum merklich schüttelt sie den Kopf.
    «Bitte! Es muss ja keine große Chance sein. Sagen wir, so groß wie der winzige Leberfleck hinten auf deinem Hals, okay?»
     Mein momentaner Gesichtsausdruck würde sich gut auf einer UNICE F-Weihnachtspostkarte machen.
    Iris muss ein bisschen lächeln, dann wird sie schlagartig ernst und schüttelt kurz und energisch den Kopf. «Ich bin schwanger,
     Paul.»
    Sie hat den Satz leise gesagt, fast bedächtig, und doch trifft er mich wie ein Faustschlag. Genauer gesagt trifft er mich
     wie jene Batterie von Faustschlägen, die Foreman 1974 in Kinshasa am Ende der achten Runde einstecken musste. Jedes Wort
     ein Kopftreffer.
    «Gratuliere», sage ich und glaube die Stimme des Ringrichters zu hören, der mich gerade anzählt. Ich fühle mich bleiern.
     Keine Chance. Ich liege auf der Matte, und da werde ich auch bleiben.
    «Ich bin einen Tag länger in London

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