Da muss man durch
«Soll ich ihm einen Hut kaufen? Oder eine Perücke?»
Lisa seufzt. «Es gibt so ’ne Art Mützen, hat der Arzt gesagt. Aber ist ja auch egal. Das Ohr war beim besten Willen nicht
zu finden. Wir konnten es also nicht mehr annähen lassen.»
Sie drückt mir den Zettel mit Gordons Telefonnummer in die Hand. «Vielleicht rufst du ihn direkt an. Soviel ich weiß, wollte
er morgen für ein paar Tage nach London.»
Ich blicke auf den Zettel, und meine Laune verschlechtert sich rapide. «Mein Hund hat nur noch anderthalb Ohren, und dieser
Gordon will ein Vermögen für seine Rottweiler. Das ist ja wohl nicht sein Ernst.»
Lisa sieht mich an, sie wirkt genervt. «Mach, wie du meinst, Paul. Das ist jetzt deine Sache. Aber, wie gesagt, juristisch
hat er ganz klar die besseren Karten. Und jetzt muss ich los.»
Im Auto hockt Fred wie gewöhnlich neben mir und blickt interessiert auf die Straße. Ich weiß, dass es verboten ist, einen
ungesicherten Hund auf dem Beifahrersitz zu transportieren, aber Fred weigert sich, einen Gurt anzulegen, und hat sich
auch durch mehrere absichtliche Vollbremsungen nicht davon abbringen lassen, vorne Platz zu nehmen, also lasse ich ihm seinen
Willen. Seine aufmerksame Beobachtung des Straßenverkehrs wird heute dadurch gestört, dass ich ab und zu auf sein halbes
Ohr schiele, um mich an den Anblick zu gewöhnen. Fred registriert |112| das und wirkt irritiert. Er wirft mir seinerseits kurze Blicke zu, die zu fragen scheinen: Was ist los? Sitzt meine Krawatte
schief? Hab ich Lippenstift am Kragen? Steht mein Hosenstall offen?
Ich ziehe mein Handy hervor, um Gordon anzurufen. Wenn ich mit einem ungesicherten Hund erwischt werde, kostet mich das
sowieso fünfzig Mäuse, vielleicht kriege ich ja aufs Telefonieren Rabatt.
«Hi. Hier is Snake. Gordon kann grad nicht.»
Snake klingt ziemlich zugedröhnt. Ich erkläre ihm, wer ich bin, was ich will und bitte um Rückruf.
«Hey, warte, Mann», erwidert Snake. «Du bist doch der Typ mit dem Köter, der unsere Rottis plattgemacht hat, oder?»
Das habe ich ihm zwar gerade erklärt, aber Snake ist sich im Moment offenbar nicht sicher, ob er wirklich unsere Sprache
spricht.
«Ja, das sagte ich gerade», erwidere ich.
«Okay, wart mal kurz. Ich hol Gordy.»
Man hört ein Klacken in der Leitung. «Gordy, hier ist der Typ mit dem Köter, der unsere Rottis plattgemacht hat», höre
ich Snake sagen. Wenig später öffnet und schließt sich eine Tür, dazwischen hört man erbärmliches Gitarrengeschrammel und
Getrommele.
«Ja, hallo?» Gordon ist mir von der ersten Sekunde an unsympathisch. Wieder erkläre ich den Grund meines Anrufs und bitte
um einen Gesprächstermin.
«Du, ich weiß zwar nicht, was es da noch zu besprechen gibt, aber wenn du willst, dann komm hier im Studio vorbei. So
in zwanzig Minuten hab ich ’ne Viertelstunde Zeit für dich. Mehr is nich drin. Sorry.»
Obwohl es mir gründlich gegen den Strich geht, so von |113| oben herab behandelt zu werden, stimme ich zu. Da ich laut Lisa auf Gordons Entgegenkommen angewiesen bin, bleibt mir wohl
nichts anderes übrig, als die Zähne zusammenzubeißen.
Meine Engelsgeduld wird zwei Minuten später auf eine schwere Probe gestellt, weil Gordon erneut anruft: «Wenn du sowieso
kommst, kannst du dann Pizza mitbringen? Fünf große, gemischt. Unser Prakti is krank, und hier kann grad keiner weg.»
Klar, Gordon. Ich kann später auch gerne noch eure Autos waschen, Groupies organisieren und Drogen besorgen. Zwischendurch
hab ich sicher noch Zeit, die Rottis zur Krankengymnastik zu fahren.
«Kein Problem», erwidere ich knapp und beherrscht.
Das Studio ist eine geräumige Siffbude. Die Sitzecke sieht aus, als hätte man sie aus dem Sperrmüll gezogen, und überall
stehen leere Flaschen und übervolle Aschenbecher herum. Gordons Rockband arbeitet offenbar hart an der Legendenbildung.
«Oh. Für mich keine Cipolla», sagt Snake, während er mit glasigen Augen in einen der Pizzakartons starrt. «Mein Magen is
nicht ganz in Ordnung.»
Ich bin sicher, auch Snakes übrige Organe sind nicht ganz in Ordnung, denn seine Gesichtsfarbe erinnert an Hackbraten,
und seine Haut sieht aus, als müsste sie mal wieder gebügelt werden.
Während die Bandmitglieder über ihre Pizzen herfallen, gewährt Gordon mir die angekündigte Audienz. «Magst ’n Bier?»
«Gibt’s auch ’n Kaffee?»
Gordon nickt, drückt mir einen Plastikbecher in die Hand und gießt ein. Dem
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