Da muss man durch
kein besonders gutes Benehmen,
keinen sonderlich guten Geschmack und vor allem kein Charisma.» Sie macht erneut ein Päuschen, nippt wieder ungerührt an
ihrem Tee.
Nicht schlecht. Der alte Drache spuckt noch eine Menge Feuer.
Wahrscheinlich käme es Elisabeth zupass, wenn ich nun aufspringen und wutentbrannt das Zimmer verlassen, oder besser noch,
ihr gleich an die Gurgel gehen würde. Da ich ihr genau diesen Gefallen nicht tun möchte, sage ich betont höflich: «Vielen
Dank, gnädige Frau. Ich bin froh, dass Sie mich wohlwollender beurteilen, als ich befürchtet hatte.»
Elisabeth von Beuten verzieht keine Miene, aber ein fast unmerkliches Blitzen in ihren Augen verrät, dass meine Reaktion
sie nicht kaltlässt. Ob sie amüsiert ist oder mich gern in Stücke reißen würde, kann ich allerdings nicht beurteilen. Ich
vermute, Letzteres.
|103| «Ich weiß nicht, wie Sie es geschafft haben, meine gesamte Familie auf Ihre Seite zu kriegen …»
Oh, ich würde sagen mit Sex, Lügen, Alkohol und Herrschaftswissen.
«… aber erstaunlicherweise ist nach Lage der Dinge jeder außer mir dafür, dass Sie künftig unseren Verlag leiten.»
Es widerstrebt ihr sichtlich, das zuzugeben. Sie gönnt mir meinen politischen Erfolg weniger als die Russen den Amerikanern
die Mondlandung. Fragt sich nun, ob sie dem Wunsch ihrer Familie folgt oder ihr berüchtigtes Veto einlegt. Ich schweige,
warte ab und genieße es, Elisabeth dabei zuzusehen, wie sie versucht, sich ihre Verärgerung nicht anmerken zu lassen.
«Sie ahnen vielleicht, dass ich wenig von Bauchentscheidungen halte», fährt sie fort. «Ein Unternehmen unserer Größenordnung
kann man nicht über Jahrzehnte hinweg bewahren, wenn man sich allein auf seine Lebenserfahrung und sein Gefühl verlässt.»
Dass ausgerechnet Elisabeth von Gefühl redet, finde ich interessant. Ich dachte schon, sie hätte das nicht mal in ihrem
Wortschatz.
«Insofern habe ich mich dazu entschieden, dem Wunsch meiner Familie zu folgen und die Geschicke des Verlages künftig in Ihre
Hände zu legen.»
Sie lässt ihre Worte einen Moment wirken, derweil ich einen Anflug von Respekt für die alte Dame verspüre. Ich mag sie genauso
wenig wie sie mich, aber es imponiert mir trotzdem, dass sie derart leichtfüßig über ihren eigenen Schatten springt.
«Ich danke Ihnen …», beginne ich, verstumme jedoch sogleich, weil sie abwehrend die Hand hebt.
«Ich bin noch nicht fertig», sagt sie und greift erneut zu |104| ihrem Tee. «Meine Entscheidung ist an gewisse Bedingungen gebunden.»
«Herr Schamski steht für mich nicht zur Disposition», werfe ich barsch ein. In den letzten Tagen ist mir klar geworden,
dass ich den Job ablehnen werde, wenn Schamski nicht mit im Boot ist. Falls sie also darauf hinauswill, können wir das Gespräch
abkürzen.
«Ich weiß», erwidert sie. «Es geht auch nicht um Herrn Schamski. Ich habe Herrn Dr. Raakers nahegelegt, seinen Posten zu räumen, und gestern sein Rücktrittsgesuch angenommen.»
Das ist eine ausgesprochen feine Umschreibung dafür, jemanden zu feuern.
«Er selbst ist der Ansicht, dass seine momentanen privaten Probleme nur schwer vereinbar sind mit den großen Aufgaben, die
in den nächsten Monaten im Verlag anstehen.»
Sie gießt sich Tee nach. «Möchten Sie eigentlich auch Tee?», fragt sie nun beiläufig. Ich schüttele den Kopf. Eben wollte
sie mir keinen anbieten, jetzt kann sie ihren blöden Tee auch behalten. Außerdem interessiert mich brennend, worauf sie
hinauswill. Elisabeth weiß das, denn nun lässt sie sich alle Zeit der Welt. Während sie sich Milch in den Tee gießt, daran
nippt, dann noch einen Tropfen nachschenkt und schließlich sorgfältig umrührt, lehne ich mich ein wenig zurück. So langsam
habe ich dann auch begriffen, dass sie mich zappeln lassen will.
«Ich möchte, dass Timothy für eine Übergangsphase von sechs Monaten als Finanzvorstand im Verlag tätig wird. Er soll helfen,
das von Ihnen gewünschte Risikokapital optimal einzusetzen. Selbstredend wird er mich über die Entwicklung auf dem Laufenden
halten.»
|105| Timothy soll also meine Anstandsdame in Fragen der Ökonomie werden. Das schmeckt mir im ersten Moment überhaupt nicht. Andererseits
scheint er mit Geld umgehen zu können und nicht ganz so konservativ zu sein wie Raakers. Das wiederum kommt mir gelegen. Während
ich über Elisabeths Vorschlag nachdenke, schweigt die Patriarchin.
«Sie
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