Da Vincis Fälle Doppelband 1 und 2 (German Edition)
kletterten auf den Rücken der Stute Marcella und ließen sie in einem gemütlichen Tempo hinter dem Reiter hertraben. Der Abstand, den sie zu dem Mann mit dem Federhut halten mussten, wurde immer größer, denn langsam wurde es hell. Aber dadurch wurde es auch möglich, ihn über eine größere Entfernung hinweg zu beobachten.
Die Stunden gingen dahin und zwischenzeitlich hatten sie ihn ganz verloren. Er war zwischen Bäumen, Sträuchern und kleineren Anhöhen verschwunden.
Erst als in der Ferne die Mauern der Stadt Florenz auftauchten, war der Reiter wieder zu sehen. Er ritt auf geradem Weg auf die Stadt zu.
Carlo und Leonardo konnten nun den Abstand zwischen ihnen und dem Reiter ruhig verringern, denn von allen Seiten strömten bereits Menschen und Fuhrwerke auf die verschiedenen Tore der Stadt zu. Es waren hauptsächlich Händler und Bauern, die ihre Waren auf den Markt bringen wollten oder Leute, die im Umland wohnten und sich als Tagelöhner und Hilfskräfte anboten. Da fielen Carlo und Leonardo nicht mehr so auf, selbst wenn der Reiter mit dem Federhut auf sie aufmerksam wurde.
„Heya!“, rief Leonardo und trieb die Stute Marcella zu größerer Eile an. Aber das war mühsam.
„Sie ist erschöpft“, sagte Carlo. „Da kannst du nicht mehr viel erwarten!“
Trotzdem holte er gegenüber dem Mann mit dem Federhut etwas auf.
Dieser drehte sich zu den beiden Jungen um und betrachtete sie misstrauisch von oben bis unten.
„Meinst du, er schöpft einen Verdacht?“, fragte Carlo„Nein, das glaube ich nicht. Wenn er mich gesehen hätte, wäre mein Kopf jetzt nicht mehr zwischen meinen Schultern.“
Der Mann mit dem Federhut zügelte sein Pferd und schien auf die Jungen zu warten.
„Wir bleiben ganz ruhig“, wandte sich Leonardo an Carlo.
„Einfach so tun, als wäre es für uns das Normalste der Welt, nach Florenz zu reiten!“
„Wer seid ihr?“, fragte der Mann mit dem Federhut, als Carlo und Leonardo nahe genug herangekommen waren.
„Mein Name ist Leonardo – und hinter mir sitzt mein Freund Carlo. Wir sind auf dem Weg nach Florenz, wie ich auch von Euch vermute, mein Herr.“
Der Mann musterte Leonardo abschätzig.
„Verfolgt ihr mich etwa schon länger?“, fragte er dann. Leonardo versuchte, ein erstauntes Gesicht zu machen.
„Verfolgen?“, fragte er. „Wie kommt Ihr darauf, dass wir Euch verfolgen, mein Herr… Mit wem haben wir übrigens die Ehre, uns unterhalten zu dürfen?“
„Das tut nichts zur Sache“, sagte der Mann ziemlich schroff. Er strich sich den Spitzbart glatt, der sein Kinn bedeckte. „Ich möchte einfach nur wissen, seit wann ihr zwei mir folgt und warum!“
„Nun, wie schon gesagt, wir folgen Euch nicht, sondern es scheint nur so zu sein, dass wir dasselbe Ziel haben – die Stadt Florenz!“
„Und was wollt ihr dort, wenn ich mal fragen darf?“
„Unser Glück machen“, antwortete nun Carlo, bevor Leonardo etwas hatte antworten können. „Florenz ist eine so reiche Stadt, dass gewiss auch etwas von dem Reichtum für diejenigen übrig bleibt, die von Hause aus arm sind.“
„Also seid ihr Bettler!“, stellte der Mann mit dem Federhut fest.
„Ich kann euch nur warnen, in Florenz gibt es schon mehr als genug Straßenkinder, die um Almosen betteln – da wird für euch kam etwas übrig bleiben.“
„Wir vertrauen auf Gott und unser Glück“, sagte Leonardo.
„So, so“, murmelte der Mann. Er schien den beiden Jungen noch immer nicht so recht zu trauen. Seine Linke legte sich um den Griff des mächtigen Schwertes, mit dessen Klinge Leonardo ja bereits um ein Haar Bekanntschaft gemacht hätte. Dann deutete der Mann plötzlich auf Marcella. „Wie kommt es, dass zwei angeblich bettelarme Jungs wie ihr ein Pferd zur Verfügung habt? Und ich sehe, dass einer von euch sogar Schuhe im Sommer trägt!“
Damit war natürlich Carlo gemeint.
Glücklicherweise fiel Leonardo eine passende Ausrede ein.
„Unsere Eltern sind schon vor Jahren an einer Krankheit gestorben und so mussten wir bei unserem Großvater leben, den der Herr nun auch zu sich geholt hat. Das Pferd ist alles, was er uns hinterlassen hat, denn sein Haus und seine sonstige Habe waren bereits verpfändet, weil er hohe Schulden hatte. Wir wissen nicht, wovon wir leben sollen.“
„Das ist ja eine rührende Geschichte“, höhnte der Reiter mit dem Federhut und verzog dabei das Gesicht auf eine Weise, die deutlich machte, dass er von dem, was er gehört hatte höchstens die Hälfte
Weitere Kostenlose Bücher