Da Vincis Fälle Doppelband 1 und 2 (German Edition)
die Stimmung unter ihnen ziemlich gereizt war.
„Vielleicht geht es da gerade um unser Schicksal“, glaubte Carlo. Leonardo nickte. Daran hatte er auch schon gedacht. Er lauschte, konnte nicht wirklich verstehen, worum es ging. Dann verstummten die Stimmen. Stattdessen hörte er Schritte, die sich der Grube näherten. Ein Schatten hob sich am Rand der Grube ab. Die Strickleiter wurde hinuntergelassen.
Der Maskierte, der am Rand der Grube stand, streckte die Hand aus und deutete auf Leonardo. „Du! Komm rauf!“
Leonardo wechselte einen kurzen Blick mit Carlo. Dieser zuckte die Schultern.
„Na, los, worauf wartest du?“, herrschte ihn der Maskierte an. Mit weichen Knien stieg Leonardo die Strickleiter hinauf und hatte wenig später den Rand der Grube erreicht. Der Maskierte packte ihn am Oberarm und half ihm auf dem letzten Stück.
Sein Griff war so fest wie bei einem Schraubstock. Er ließ nicht locker und führte Leonardo neben sich her.
„Tragt ihr alle eure Masken?“, rief der Mann.
„Ja!“, kam es aus mehreren Kehlen.
Sie erreichten den Platz vor der Höhle. Die Männer, die um das Lagerfeuer herum saßen, waren alle maskiert. Leonardo schaute sich nach dem Kerl mit der Narbe um und fand ihn etwas abseits. Er lehnte mit der Hüfte gegen einen Felsen und vertrieb sich die Zeit damit, Dolche so zu schleudern, dass sie möglichst nahe an einem bestimmten Stein im Boden stecken blieben.
Drei Dolche hielt er noch in der Rechten. Mit der Linken warf er die Dolche.
„Hier ist der Junge!“, rief der Maskierte, der Leonardo hinausgeführt hatte. Offenbar waren diese Worte an den Narbigen gerichtet, aber dieser ließ sich in seiner Konzentration auf die Dolche nicht stören. Er schleuderte eine Klinge nach der anderen und war erstaunlich treffsicher dabei.
„Bravo!“, sagte einer der anderen Männer, nachdem der Narbige fertig war.
Dieser wandte sich um.
Er zog die Dolche aus dem Boden und gab sie einem der anderen.
„Du bist gleich dran!“, erklärte er, bevor er auf Leonardo zuging. In einer Entfernung von drei Schritten blieb er stehen. Sein Blick blieb an den bloßen Füßen haften.
„Wer bist du?“, fragte er.
„Leonardo da Vinci, Sohn des Grafen da Vinci!“
Die Männer lachten.
„Was gibt’s da zu lachen?“, fragte Leonardo.
„Man sieht dir doch schon an, dass du ein Bauerntölpel bist! Wenn dein Vater ein Graf wäre, würdest du im Sommer Schuhe tragen!“, meldete sich einer der Maskierten amüsiert zu Wort. Vielleicht war der Rat, den Luca mir gegeben hat, doch nicht gerade das Gelbe vom Ei!, ging es dem Jungen durch den Kopf.
„Das sagst du nicht zufällig deshalb, weil du glaubst, dass wir dich eher am Leben lassen, wenn du reiche Eltern hast?“, fragte der Narbige. „Vinci ist ein kleines Dorf bei Empoli und es gibt meines Wissens keine Grafen, die so heißen!“ Er schnippste mit den Fingern und ließ sich seine Dolche zurückgeben. „Ich will jetzt die Wahrheit wissen, oder ich probiere meine Treffersicherheit mal an dir aus!“
Leonardo sah ein, dass er den Narbigen offenbar unterschätzt hatte. Es hatte wohl keinen Sinn, ihm noch mehr Märchen aufbinden zu wollen - es sei den, diese Märchen enthielten wenigstens ein Stück Wahrheit, dass überprüft werden konnte. Leonardo schluckte.
„Wenn du hier brav mitspielst, bekommen deine Eltern von uns Besuch, sie bezahlen ein paar Florin und du kannst wieder gehen. Das ist alles. Aber wenn du uns hier Schwierigkeiten machst, geht es dir schlecht!“
„Eigentlich hat er schon den Tod verdient, weil er das Feuer gelegt hat!“, meldete sich einer der anderen Männer zu Wort. Und ein anderer ergänzte: „Gut, dass wir das so schnell bemerkt haben und der Wind günstig stand. Sonst hätte im nu der ganze Wald in Flammen gestanden und dann… wäre es auch für uns brenzlig geworden“
„Halt den Mund“, fuhr der Narbige ihm dazwischen. Seine Stimme hatte den frostigen Klang von klirrendem Eis.
„Also gut“, sagte Leonardo. „Mein Vater ist kein Graf.“
„Sondern? Nenn mir seinen Namen.“
„Er heißt Ser Piero D’Antonio. Er ist Notar in Vinci!“
„Und du bist dann wohl ein uneheliches Kind!“, stellte der Narbige fest.
„Fragt sich, ob dieser Ser Piero bereit ist, dann für ihn Lösegeld zu zahlen!“, ergänzte ein anderer.
„Und außerdem ist ein Notar nicht unbedingt ein reicher Mann!“, meinte der Narbige. „Jedenfalls nicht, wenn seine Kundschaft aus Bauern und Dorfgastwirten besteht,
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