Da Vincis Fälle Doppelband 1 und 2 (German Edition)
dass sich der ganze Aufwand und das Risiko bei so kleinen Fischen wie mir und dir wohl gar nicht lohnen würden!“
„Kleine Fische – das sind für diese Banditen wohl Gefangene, für die sich nicht so viel Lösegeld erwarten.“
„Tja, ich hätte euch ja gerne als meine Brüder ausgegeben!“, mischte sich Luca di Gioia in die Unterhaltung ein. „Nur leider wäre das nicht sehr überzeugend gewesen!“
„Genauso wenig wie das Märchen vom Grafen da Vinci, dass du mir empfohlen hast“, erwiderte Leonardo mit leicht vorwurfsvollem Unterton.
„Tut mir leid, ich konnte ja nicht vorhersehen, dass diese Banditen doch etwas cleverer sind, als es auf mich zunächst den Anschein hatte!“
„Die hätten mich beinahe deswegen als Zielobjekt für ihre Zielübungen mit dem Dolch verwendet.“
„Ist ja schon gut“, erwiderte Luca etwas beleidigt. „Ich habe schon gesagt, dass es mir Leid tut. Es war gut gemeint.“
Leonardo atmete tief durch.
„Wir sollten uns nicht untereinander streiten“, fand Carlo. „Wir sind alle in derselben Lage und müssen daher zusammenhalten.“
„Aber ganz gleich ist unsere Lage nicht“, gab Leonardo zu bedenken und deutete auf Luca. „Er hat Eltern, die mit Sicherheit genug Lösegeld zahlen werden – und ich nehme an, da schläft man selbst in diesem feuchten Loch doch sehr viel ruhiger, wenn man das weiß.“
„Wen willst du denn dafür jetzt anklagen?“, fragte Luca schulterzuckend. „So ist nun mal die Welt. Gott hat es so gewollt und jeden an seinen Platz gestellt. Den Adeligen, den reichen Kaufmann, den einfachen Bauer und die Tagelöhner oder den Bettler, wie man sie auf den Straßen von Florenz finden kann. Jeder hat seinen Platz. Da kann man nichts machen!“
„Das klingt für mich nicht so, als wäre es ein Gesetz der Natur“, meinte Leonardo.
„Ein Gesetz der Natur nicht – aber dafür ein Gesetz Gottes. Das sagt zumindest unser Kaplan in Florenz.“
„Und woher weiß der das?“
„Er sagt, dass es in der Bibel steht.“
„Hast du es selbst dort gelesen, Luca?“
„Nein, die Bibel ist in Latein geschrieben und das lerne ich erst noch. Mein Vater will, dass ich eines Tages, an die Universität von Bologna gehe und Rechtswissenschaft studiere – und dazu braucht man Latein. Er sagt immer, es sei gut für unser Handelshaus, wenn ich genau über die Gesetze Bescheid weiß.“
Leonardo bedauerte es, dass er nicht auf eine Lateinschule gehen konnte und daher auch nie die Chance haben würde, auf eine Universität zu gehen. Rechtswissenschaft hätte ihn da zwar nicht so besonders interessiert – dafür aber fast jedes andere Fach. Die besten Gelehrten unterrichteten dort. Magister nannte man sie. Es ärgerte Leonardo ein wenig, dass er wohl gezwungen war, sich alles selbst beizubringen, was er für seine Forschungen brauchte. Das war natürlich viel schwieriger und anstrengender, als wenn es einem durch einen Magister erklärt wurde. Nicht einmal die Bücher dieser Gelehrten konnte Leonardo lesen, denn auch sie waren fast ausschließlich in Latein verfasst.
Schritte ließen die Jungen aufhorchen. Einer der Maskierten erschien am Rand der Grube und ließ einen Korb herunter.
„Hier, eure Eltern sollen euch ja nicht mager zurückbekommen und uns für Unmenschen halten!“, meinte der Mann dazu. Der Korb befand sich an einem Haken. Luca kannte bereits den Ablauf, der sich offenbar bei jeder Mahlzeit wiederholte. Er löste das Seil vom Korb und der Maskierte zog es wieder zurück.
„Guten Appetit!“, lachte der Maskierte und ging wieder. Ein Krug mit Wasser und trockenes Brot befanden sich in dem Korb. Außerdem ein Stück Käse und ein paar Weintrauben.
„Na ja, ich habe schon ein reichhaltigeres Bankett gesehen!“, sagte Luca auf seine etwas hochnäsig wirkende Art, die Leonardo nicht ausstehen konnte. „Und Käse dieser minderen Qualität würde ich normalerweise nicht einmal ansehen, geschweige denn essen… Ich glaube, meine Eltern würden ihren Küchenmeister sofort entlassen, wenn so etwas bei ihnen auf dem Tisch landen würde.“
„Du brauchst nichts davon zu nehmen, wenn es dir nicht gut genug ist!“, erwiderte Leonardo.
Das Wasser schmeckte abgestanden. Der Käse war an den Seiten schon hart und das Brot war auch ein paar Tage alt. Aber Leonardo und Carlo hatten Hunger und griffen daher zu. Luca hingegen nahm nur wenig.
„Ich will mir nicht den Magen mit dem Zeug verderben“, meinte er und dabei hob sich sein Kinn ein ganzes
Weitere Kostenlose Bücher