Da Vincis Fälle Doppelband 1 und 2 (German Edition)
einer Gestalt. Einer der Maskierten griff nach einer Strickleiter und warf sie hinab. Am oberen Ende war sie an einer Tropfsteinsäule festgebunden.
Sie reichte fast bis zum Boden der Grube.
„Wer steigt zuerst hinab?“, knurrte der Maskierte und packte dann Leonardo bei der Schulter. „Du!“
Vorsichtig kletterte der hinunter. Die Leiter war auf jeden Fall gut festgemacht und hielt sein Gewicht problemlos aus. Carlo war als nächster dran.
„Ich will nicht!“, rief er.
Ein raues, heiseres Lachen antwortete ihm. „Glaubst du, du wirst danach gefragt?“
Ihm blieb nichts anderes übrig, als ebenfalls die Strickleiter hinabzusteigen. Wenige Augenblicke stand er neben Leonardo. Er versuchte sein Zittern zu unterdrücken und presste die Lippen aufeinander.
Leonardo hatte sich inzwischen etwas besser an die Dunkelheit gewöhnt. Aber kalt war es hier. Leonardo spürte, wie eine Gänsehaut seinen gesamten Körper überzog.
Die Maskierten zogen die Leiter wieder hinauf.
„Macht keine Dummheiten! Dann gibt es regelmäßig was zu essen und wir behandeln euch gut!“, rief einer der Männer von oben. „Aber wenn ihr uns Schwierigkeiten macht, dann geht es euch schlecht.“
Leonardo hörte noch, wie die Schritte der beiden zwischen den Höhlenwänden widerhallten.
2.Kapitel
Der Schatten in der Grube
Der Schatten blieb zunächst in der Ecke. Dort war es so dunkel, dass man beim besten Willen keine Einzelheiten erkennen konnte. Dann bewegte er sich etwas nach vorn.
Durch das Licht, das vom Eingang hereinfiel, bildete sich in der Mitte der Grube einen kleinen Kegel, in dem es etwas heller war. Ein Fuß wurde sichtbar. Er war mit einem Filzschuh bedeckt.
„Wer ist da?“, fragte eine Stimme.
Die Gestalt trat noch einen weiteren Schritt vor, sodass Leonardo und Carlo nun erkennen konnten, dass es sich um einen Jungen handelte. Er war etwas größer als sie.
„Ich bin Leonardo da Vinci.“
„Ist da Vinci der Name deiner Familie oder nur Bezeichnung für das Dorf, aus dem du kommst?“
„Ich komme tatsächlich aus Vinci“, gab Leonardo zu.
„Das ist schade für dich.“
„Warum?“
„Weil du dann wahrscheinlich keine reiche Familie hast.“
„Woher willst du das wissen?“
„Wenn deine Familie reich wäre, würdest ihren Namen tragen und dich nicht nach deinem Heimatort benennen. Da machen nur arme Leute aus unbedeutenden Häusern – oder solche von zweifelhafter Herkunft. Wenn zum Beispiel ein Herr aus hohem Hause ein Kind mit einer einfachen Magd hat.“
Leonardo starrte den fremden Jungen, der da so geschraubt daherredete, fassungslos an. „Was willst du eigentlich? Mich beleidigen? So wie ich das sehe, wirst du hier auch nicht gerade gut behandelt – oder willst du mir etwa erzählen, dass du freiwillig in dieser kalten Grube hockst, die so feucht ist, dass sich hier wahrscheinlich nur Frösche wohlfühlen!“
„Nein, ich will dich nicht beleidigen“, antwortete er. Er sprach jetzt in gedämpften Tonfall. „Ich will dir nur dein Leben retten!“
„Ach, ja?“
Die Stimme des Jungen wurde jetzt zu einem leisen Flüstern. Bevor er zu sprechen begann, blickte er erst angstvoll hinauf zum Rand der Grube. Offenbar wollte er nicht, dass einer der Maskierten zuhörte. „Haben die dich schon gefragt, wer du bist?“
„Nein.“
„Dann werden sie das noch tun. Und zwar bald. Sag ihnen dann, dass du aus einer reichen Familie kommst, gleichgültig, ob es stimmt oder nicht. Nenn deinen Vater meinetwegen den Grafen da Vinci! Die müssen den Eindruck haben, dass man für dich ein hohes Lösegeld bekommen kann! Wenn sie nämlich glauben, dass deine Eltern arme Schlucker sind, die sowie nichts zahlen können, machen sie kurzen Prozess mit dir. Dich am Leben zu lassen wäre viel zu gefährlich, weil du ein Zeuge wärst!“
Leonardo atmete tief durch.
„Danke für den Rat“, sagte er.
„Gern geschehen. Wir sind ja hier schließlich alle drei in derselben Lage – gefangenen genommen, um Lösegeld zu erpressen.“ Er wandte sich an Carlo. „Und wer bist du?“
„Carlo Maldini. Mein Vater ist Händler und dürfte der reichste Mann in Vinci sein.“
„Der reichste Mann in irgendeinem Kuhdorf ist vermutlich nicht reich genug für diese Banditen. Also wirst du in dieser Hinsicht stark übertreiben müssen, sonst geht es auch dir an den Kragen.“
Leonardo hatte sich inzwischen etwas besser an das schwache Licht gewöhnt und konnte nun etwas mehr erkennen. Der Junge strich sich
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