Daddy Langbein
Du siehst, ich bin aufrichtig!
Du kannst Dir nicht vorstellen, wie enttäuscht ich war, weil ich auf das Camp von McBrides verzichten mußte. Natürlich weiß ich, daß Du mein Vormund bist, und daß ich Deinen Wünschen in jeder Beziehung folgen muß; aber ich konnte keinen Grund einsehen. Es war so unbedingt das beste , was mir passieren konnte. Wenn ich Daddy gewesen wäre und Du Judy, hätte ich gesagt: „In Gottes Namen, mein Kind, lauf zu und sei vergnügt; sieh Dir eine Menge neuer Leute an, lerne eine Menge neuer Dinge; sei viel im Freien und werde kräftig und gesund und ausgeruht für ein Jahr harter Arbeit.“
Aber nein! Nur eine kurze Zeile von Deinem Sekretär mit dem Befehl, nach Lock Willow zu gehen.
Es ist die Unpersönlichkeit Deiner Befehle, die meine Gefühle verletzt. Mir scheint: wenn Du nur im geringsten ein wenig so für mich fühlen würdest wie ich für Dich, dann würdest Du mir zuweilen eine Nachricht mit Deiner eigenen Handschrift schicken, statt der widerlichen getippten Schreiben des Sekretärs. Wenn nur das leiseste Anzeichen da wäre, daß Dir etwas an mir liegt, würde ich alles auf der Welt tun, um Dir Freude zu machen.
Ich weiß, daß ich nette, lange, ausführliche Briefe schreiben sollte, ohne je eine Antwort zu erwarten. Du erfüllst Deinen Anteil an dem Handel — ich studiere — und ich kann mir denken, Du findest, daß ich den meinen nicht erfülle!
Aber, Daddy, es ist ein harter Handel. Wirklich. Ich bin so furchtbar einsam. Du bist der einzige Mensch, den ich gern haben kann, und Du bist so schattenhaft. Du bist nur ein Phantasiemensch, den ich mir ausgedacht habe — und ich nehme an, der wirkliche Du ist nicht im geringsten wie der ausgedachte Du. Aber einmal, als ich im Krankenhaus lag, hast Du mir doch geschrieben, und wenn ich mir jetzt furchtbar verloren vorkomme, hole ich die Karte heraus und lese sie wieder durch.
Aber ich glaube, daß ich noch gar nicht das ausgedrückt habe, was ich eigentlich sagen wollte, nämlich:
Obwohl ich immer noch gekränkt bin, — denn es ist sehr demütigend, von einer willkürlichen, befehlshaberischen, unvernünftigen, allmächtigen, unsichtbaren Vorsehung genommen und herumbewegt zu werden, — so ist es wohl doch so, daß ein Mann, der so gütig und freigebig und bedachtsam ist, wie Du es mir gegenüber warst, das Recht hat, eine willkürliche, befehlshaberische, unvernünftige, unsichtbare Vorsehung zu sein, wenn er wünscht, — und deshalb will ich Dir verzeihen und wieder fröhlich sein. Aber es ist immer noch kein Genuß, Sallies Briefe über das schöne Leben, das sie im Camp führen, zu bekommen!
Jedoch: laß uns einen Schleier darüber breiten und von vorn anfangen.
Ich habe diesen Sommer geschrieben und geschrieben; vier Kurzgeschichten sind fertig und an vier verschiedene Zeitschriften abgesandt. Du siehst also, daß ich versuche, ein Autor zu sein. Ich habe ein Arbeitszimmer in einem Winkel des Speichers eingerichtet, wo Master Jervie einst sein Spielzimmer für Regentage hatte. Es ist in einer kühlen, luftigen Ecke, mit zwei Mansardenfenstern, und liegt im Schatten eines Ahorns mit einer Familie roter Eichhörnchen, die in einem Loch wohnen.
Ich werde in ein paar Tagen einen netteren Brief schreiben und alle Farmneuigkeiten berichten.
Wir brauchen Regen.
Wie immer Deine
Judy.
10. August.
Herrn Daddy-Langbein!
Mein Herr!
Ich richte diese Worte an Dich aus dem zweiten Ast des Weidenbaumes am Teich in der Wiese. Unten quakt ein Frosch, oben singt eine Grille, und zwei kleine „Baumrutscher“ laufen den Baumstamm auf und ab. Es ist ein sehr bequemer Ast, besonders seitdem er mit zwei Kissen ausstaffiert ist. Ich kam mit einer Feder und einem Heft in der Hoffnung, eine unsterbliche Kurzgeschichte zu schreiben, aber ich habe furchtbare Scherereien mit meiner Heldin — ich kann sie nicht dazu bringen, sich so zu benehmen, wie ich will. Drum habe ich sie für den Augenblick verlassen und schreibe Dir (was aber nicht viel besser ist; denn Dich kann ich ja auch nicht dazu bringen, Dich so zu benehmen, wie ich will).
Wenn Du in dem entsetzlichen New York bist, dann wollte ich, ich könnte Dir etwas von diesem wunderbaren, luftdurchwehten, sonnigen Blick schicken. Nach einer Woche Regen ist das Land himmlisch.
Übrigens beim Himmel — erinnerst Du Dich an Mr. Kellogg, von dem ich letzten Sommer schrieb?
— der Pfarrer in der kleinen weißen Kirche an der Kreuzung. Die arme alte Seele ist tot — letzten
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