Dämenkind 2 - Kind der Götter
für eine vortreffliche Sache. Adrina fragte sich, ob es bei seiner Begeisterung bliebe, wenn man über die Verluste Bescheid wusste.
Tamylan fand sich rasch ein, und als sie das Zelt betrat, blickte sie missmutig drein. Anscheinend war sie schon seit geraumer Zeit wach und auf den Beinen.
»Die Krieger sind noch vor Morgengrauen aus dem Lager gezogen«, sagte sie, bevor Adrina überhaupt eine Frage stellen konnte. »Mit ihnen auch Tristan und seine Reiter.«
Adrina war völlig fassungslos. »Tristan? Wie das?! Er ist doch mein Untergebener. Cratyn kann ihn nicht mir nichts, dir nichts durch die Gegend schicken.«
»Vonulus hat ihn aufgesucht«, erklärte Tamylan, während sie Adrina das Obergewand übers Unterhemd streifte. »Was er mit ihm besprach, konnte ich nicht belauschen, aber es genügte, um Tristan zum Aufbruch
zu bewegen. Tristan hat mich damit beauftragt, Euch auszurichten, dass er Euch heute Abend Meldung erstattet.«
»Was, bei allen Sieben Höllen, könnte Vonulus daherplappern«, überlegte Adrina laut, »das ihn dahin bringt, sich Cratyn anzuschließen?«
»Er hat es mir nicht verraten.« Tamylan zuckte mit den Schultern. »Da Vonulus vor dem Zelt wartete, lag ihm wohl daran, meine Gegenwart zu verheimlichen. Jedenfalls waren sämtliche Heerscharen schon Stunden vor der Schlacht versammelt, um zum Allerhöchsten zu beten.«
Erstaunt sah Adrina sie an. »Er hat Vonulus deine Anwesenheit verborgen? Das war wirklich sehr rücksichtsvoll.« Tamylan errötete. »Ach was, sag bloß nicht, du hast dich in ihn verliebt.«
»Welch ein lachhafter Gedanke«, erwiderte Tamylan schroff und drehte Adrina ein wenig grob ins rechte Licht, um ihr das Mieder zu schnüren. »Ihr habt mir befohlen, seine Geliebte zu werden. Ich tue wie geheißen, sonst nichts. Das ist gemeinhin die Art der Sklavinnen.«
Über die Schulter blickte Adrina sich um. »Wie mir keineswegs entgangen ist, erfüllst du deine Pflicht mit tiefster Hinwendung.«
Tamylan zerrte so gewaltsam an den Schnüren, dass Adrina nach Luft schnappte. »Ich bin Eure treue Dienerin, Durchlaucht.«
»Du weißt, dass mein Vater, falls ihm endgültig kein Erbe geboren wird, ihn als rechtmäßigen Sohn anerkennen wird, oder?«, fragte Adrina. Noch in Schrammstein
war nämlich die Kunde eingetroffen, dass Hablets achte Gemahlin zu seinem größten Verdruss abermals ein Mädchen zur Welt gebracht hatte. »Er ist stets einer der Lieblinge des Königs gewesen, und je mehr Streiche er verübt, umso inniger schließt ihn Vater ins Herz. Natürlich könnte Tristan dich nie zur Ehegattin nehmen, aber als bevorzugte Court'esa sähest du, stellst du es schlau an, einer höchst rosigen Zukunft entgegen. Für eine Sklavin wäre dies ein wahrlich steiler Aufstieg.«
»Ihr lest aus dieser Angelegenheit viel zu viel heraus. Tristan und ich … richten uns lediglich nach Eurem Willen.«
»Ja gewiss.« Adrina lächelte. Aus irgendeinem Grund flößte ihr die Vorstellung, dass Tristan und Tamylan sich ineinander verliebten, ein tiefes Glücksgefühl ein. Sie hatte Tamylan gern, so gern jedenfalls, wie es bei einer Sklavin der Fall sein konnte, und Tristan war wohl der einzige Mensch auf der Welt, den sie ohne Hintergedanken liebte, ohne danach zu sinnen, was er für sie oder sie für ihn tun könnte. Die menschliche Berechnung nämlich bedeutete den Fluch ihrer Geburt.
Adrina wusste, dass sie für ihre Mitmenschen niemals etwas anderes als eine Steigbügelhalterin sein durfte. Jeder Freier, den Hablet ihr je vorgeschlagen hatte, war bloß – obschon einige es besser als die Mehrheit zu tarnen verstanden hatten – eine Art gieriger Schatzsucher gewesen. Cratyn war als erster Freier angetreten, der ihr an Rang und Stellung gleich stand, doch auch er legte es darauf an, sie in seine Pläne zu verstricken.
Als Kind hatte Adrina zur Liebesgöttin Kalianah um einen Mann gefleht, der in leidenschaftlichster Liebe zu
ihr entbrannte, nicht ihrer hohen Stellung und nicht des Reichtums wegen, den sie in eine etwaige Ehe einbrächte. Es hatte nicht lange gedauert, bis sie die Aussichtslosigkeit ihrer Gebete eingesehen hatte – spätestens sobald sie begriffen hatte, dass sie als Hablets ältestes rechtmäßiges Kind in ganz Fardohnja niemand Ebenbürtigen hatte. Vielleicht auf der gesamten Welt nicht, mit Ausnahme des Kronprinzen Cratyn in Karien, der indessen jünger war als sie, und des Thronerben im fernen Hythria, der aber zweifelsfrei ebenso verdorben und verworfen war
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