Dämenkind 2 - Kind der Götter
Adrina selbst nicht genau. Möglicherweise weil die Welt für sie wieder in Ordnung geriet, wenn Damin Wulfskling eingestand, dass er vor ihr Furcht hatte. Zumindest ein wenig Furcht.
»Ja, Bammel«, wiederholte er, als redete er mit einem kleinen Kind. »Und nun zu Bett mit Euch.«
»Ihr pflichtet mir nur bei, um mich abzuwimmeln.«
»Das ist Euch bewusst? Dann seid Ihr womöglich doch nicht so betrunken, wie ich angenommen habe.«
»Ich weiß, warum Ihr Euch fürchtet.«
»Weshalb denn?«
»Darum«, sagte Adrina und küsste ihn.
Sie beabsichtigte, ihm einen glühenden, atemberaubenden Kuss zu geben, der zur Folge hatte, dass er unweigerlich nach mehr gierte. Mehr durfte er allerdings
niemals erhalten, und das war der ganze Sinn ihres Vorgehens. Die verbotene Frucht mochte er zwar kosten, aber danach sollte ihre Süße ihm auf ewig verweigert sein.
Damin Wulfsklings Verhalten hatte sie indessen nicht erwartet. Sie handelte keineswegs in der Erwartung, dass er ihren Kuss erwiderte. So geschah völlig unversehens, dass starke Fäuste ihre Arme packten, die Gestalt des Kriegsherrn sie an die Wand presste, der eigene Pulsschlag ihr in den Ohren wummerte und sie jede sonstige Wahrnehmung verlor. Viele Männer hatte sie schon geküsst, aber kein Court'esa in ihren Diensten hätte sich je so ungezügelte Lüsternheit getraut. Ihr schlauer Vorsatz verpuffte innerhalb eines Herzschlags. Für einen flüchtigen, aber gefährlichen Augenblick gab sie sich der schieren, unvermuteten Wonne hin.
»Eure Hoheit ?« Als Tamylan sie verdutzt ansprach, kam Adrina wieder zu Sinnen, stieß Damin Wulfskling von sich und rang nach Luft. Die Miene der Sklavin, die auf der Schwelle zur Kammer stand, spiegelte ein Gemisch aus Fassungslosigkeit und Entsetzen. »Seid Ihr wohlauf, Hoheit?«, fragte sie und maß Wulfskling mit strengem Blick.
»Gewiss, Tamylan. Geh zurück ins Bett. Ich bin gleich da.«
Argwöhnisch nickte die Sklavin und entfernte sich von der Tür. Erst jetzt hatte Adrina ausreichend Selbstbeherrschung erlangt, um Wulfskling in die Augen blicken zu können.
»Ich bin der Meinung, das spricht für sich, oder?«
Leider blieb die Miene des Kriegsherrn für ihren Geschmack viel zu selbstzufrieden. »Glaubt Ihr?«
»Ich hoffe, Ihr habt es ausgekostet, denn es war das erste und letzte Mal. Von nun an dürft Ihr nur noch von dem träumen, was Ihr entbehrt.«
Adrina war hinreichend gewitzt, um diesmal nicht seine Entgegnung abzuwarten. Auf dem Absatz machte sie kehrt und schlug die Tür mit einem lauten Knall zu, der ihr eine tiefe Genugtuung bereitete.
»Was ist in Euch gefahren, Adrina?«, schalt Tamylan, kaum dass sich die Tür geschlossen hatte. »Habt Ihr denn gänzlich den Verstand verloren?«
»Vergiss nicht deinen Stand, Tamylan!«
»Und vergesst Ihr nicht Euren, Hoheit«, erwiderte die Sklavin. »Habt Ihr vergessen, wo wir uns befinden? Wer er ist? Was er ist?«
»Schweig!«
Verärgert schüttelte Tamylan den Kopf, und alles, was ihr noch auf der Zunge liegen mochte, blieb unausgesprochen.
46
ZUM ZWEITEN MAL im Leben betrat R'shiel die Versammlungshalle, um Zeugin des jährlichen Konzils der Schwesternschaft des Schwertes zu werden, doch dieses Mal brauchte sie nicht im Regen an der Außenmauer des Gebäudes emporzuklettern.
Diesmal schritt sie, umhüllt von einer Magie, die sie unsichtbar machte, verwegen zum Hauptportal hinein. Sie entzog sich dem Gedränge am Eingang und strebte zu den schmalen Treppen, die hinauf zum Säulengang führten. Sobald sie oben war, folgte sie dem Verlauf des Säulengangs bis fast genau zu der Stelle, wo sie zwei Jahre zuvor – gemeinsam mit Davydd Schneider – das Konzil beobachtet hatte.
Es mutete sie absonderlich an und verstimmte sie ein wenig, dass sie sich kaum noch an sein Gesicht entsann. Sein Versuch, ihr und Tarja bei der Flucht aus der Zitadelle zu helfen, hatte ihn damals das Leben gekostet. Er verdiente es, ihr in deutlicherer Erinnerung zu bleiben.
Voller Unruhe schaute R'shiel zu, wie sich die Halle mit Blauen Schwestern füllte. Zu gern hätte sie Dranymir gerufen und sich davon überzeugt, dass der Erzdämon mit aller Genauigkeit wusste, was von ihm und seinen Brüdern erwartet wurde; aber sie durfte sie nicht der Gefahr aussetzen, womöglich entdeckt zu werden, bevor sie die Versammlung ihrem Bann unterworfen hatte.
Auch hätte sie gern gewusst, wo sich Mahina aufhielt. Außerdem lag ihr dringend daran, Affiana eine Nachricht zukommen zu lassen, denn
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