Dämenkind 2 - Kind der Götter
es bereitete ihr Sorge, dass diese sich nicht am vereinbarten Treffpunkt eingefunden hatte. Vielleicht hatte sie einfach nicht lange genug gewartet. R'shiel und Brakandaran waren erst spät in der Taverne eingetroffen. Die Ungewissheit quälte R'shiel. Affiana hatte ihnen nicht einmal eine Mitteilung hinterlegt.
Sie lehnte sich auf die Balustrade und sah zu, wie immer mehr Schwestern sich versammelten. Garet Warner, zurzeit ranghöchster Hüter in der Zitadelle, stand mit zwei anderen Hüter-Hauptleuten links neben der Empore, genau dort, wo an dem Abend, als Frohinia zur Ersten Schwester ernannt worden war, Hochmeister Jenga und Tarja die Ereignisse mitverfolgt hatten. Sie wünschte, sie könnte seine Gedanken lesen; wünschte sich Klarheit darüber, wie weit man ihm vertrauen durfte.
Auch wäre es ihr lieber gewesen, Brakandaran an ihrer Seite zu haben, doch er hatte unumstößlich darauf beharrt, draußen mit den Pferden in Bereitschaft zu bleiben, um einen unverzüglichen Aufbruch zu ermöglichen. Mit einer Entschiedenheit, die nachgerade an Besessenheit grenzte, wollte er sie fort von dieser Stätte haben.
Brakandaran war äußerst schwer zu durchschauen. R'shiel war sich, was ihn anbetraf, einzig dessen sicher, dass er sie, gleich was er von ihren Handlungen halten mochte, nicht im Stich lassen würde. Sie bezweifelte sogar, dass Brakandaran sie sonderlich schätzte, aber
auf alle Fälle nahm er die ihm aufgebürdete Verantwortung ernst. Er hatte den früheren Harshini-König getötet, um ihr Überleben zu gewährleisten. Sollte er sich nun von ihr abwenden, verlöre seine damalige Tat gänzlich ihren Sinn.
Mit einem hohlen Dröhnen fiel das Portal zu und gab damit das Zeichen zum Beginn des Konzils. Alle Augen richteten sich nach vorn. Aus dem Zugang hinter dem Podium kamen die in Weiß gekleideten Mitglieder des Quorums zum Vorschein. Nach alter Gewohnheit erschien die Erste Schwester zuletzt, ein Brauch, der R'shiels Vorhaben – zu ihrer stillen Erleichterung – zum Vorteil gereichte.
Auf geistiger Ebene rief sie Dranymir. Sofort zeigte sich der Erzdämon, seine übergroßen Augen glitzerten im Düstern.
Seid ihr bereit?
Mögen die Götter mit uns sein , antwortete Dranymir, bevor er verschwand.
»Seid auf der Hut«, flüsterte R'shiel noch in die leere Luft.
Sie widmete ihre Aufmerksamkeit von neuem der Empore, wo Schwester Francil inzwischen die althergebrachte Danksagung an die Gründungsschwestern sprach. Am Rande der Wahrnehmung gewahrte R'shiel, dass die Dämonen sich zu der Gestalt vereinten, die Frohinia darstellen sollte.
Da sie den Vorgang als Ablenkung empfand, entzog sie ihm ihre Aufmerksamkeit und richtete sie stattdessen vollauf in ihr Inneres, um die Glut der ihr innewohnenden Harshini-Magie zu ertasten. Wie Brakandaran
sie unterwiesen hatte, zapfte sie die Magie-Kräfte mit aller gebotenen Behutsamkeit an, ordnete den Inhalt der Gedanken, die sie dem Geist der Anwesenden überzustülpen beabsichtigte, aber übte noch keine Beeinflussung aus. Sie wusste, dass sich dabei ihre Augen schwarz färbten, weil die Naturgewalt der Magie das Weiß völlig verdrängte.
Während Francils Leierstimme die Litanei beendete, öffnete sich die rückwärtige Tür ein zweites Mal, und die Dämonenverschmelzung betrat das Podium.
Dranymir und seine Brüder hatten ein eindrucksvolles Werk vollbracht. Vielleicht war die Frohinia, die sie aus ihren Leibern geschaffen hatten, ein wenig zu groß, und das Blau der Augen stimmte nicht ganz mit dem Vorbild überein, aber es hätte die Mühe eines langwierigen Vergleichs erfordert, um sie von diesem Anblick zu unterscheiden.
Mit herrischem Gebaren suchte Frohinia ihren Platz auf und nickte den übrigen Angehörigen des Quorums zu, ehe sie sich an das Konzil wandte. Damit verkürzte sie das altüberkommene, gewohnte Zeremoniell, doch R'shiel mochte die Dämonenverschmelzung einer derartigen Belastung keinen Augenblick länger als nötig aussetzen. Frohinia hatte aufzutreten, ihre Verlautbarungen abzugeben und ohne Verzug zu gehen. R'shiel konnte Mahina in der Menge der Blauen Schwestern nicht erkennen, verließ sich jedoch darauf, dass die gute Alte sich zuverlässig eingefunden hatte.
Es verlangte R'shiel erhebliche Anstrengung ab, den Magie-Zwang zurückzuhalten. Einmal angezapfte Magie-Kräfte blieben ungern gestaut. Schweiß perlte ihr
über die Stirn, sie klammerte die Hände an die Balustrade, ihre Augen brannten. Halb unbewusst sprachen ihre
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