Dämenkind 2 - Kind der Götter
vorstellen. Ich nenne Euch den Grund, weshalb eine neue Säuberung des Volkskörpers unausweichlich vonnöten ist. Ich beweise Euch, welche schauerlichen Folgen es hatte, dass wir in unserer Wachsamkeit erlahmten. Hier vor Euren Augen entlarve ich eine harshinische Hexe und Zauberin. Seht vor Euch das verruchte Dämonenkind!«
47
GANZ LANGSAM KEHRTE das Bewusstsein zurück. Gleichsam wie ein Dieb in der Nacht schlich es sich an, so umständlich, dass eine beträchtliche Frist verstrich, bis R'shiel merkte, dass sie wieder bei Besinnung war. Noch länger dauerte es, bis sie erkannte, wo sie sich befand.
Sie lag auf dem Fußboden. Ihr Schädel pochte infolge der oberflächlichen Platzwunde, die sie sich beim Sturz auf die Marmorstufen des Podiums zugezogen hatte. Durch die hohen Fenster drang kühles Morgenlicht herein und erzeugte auf dem wertvollen Teppich, auf dem man R'shiel ausgestreckt hatte, ein Helldunkelmuster. Ihr Hals brannte, als hätte sie ihn sich äußerlich verbrüht, und die kalte Halskette, die ihre Kehle umgab, verkörperte eine schaurige Mahnung an die Zwecklosigkeit ihres letzten Versuchs, die Harshini-Magie anzuzapfen.
Im Gaumen hatte sie einen Geschmack, der an Schweinestall erinnerte. Die Hände hatte man ihr auf den Rücken gefesselt; ihre Finger waren gefühllos geworden, dermaßen stramm hatte man den Strick geschnürt. Ihr Aufenthaltsort war keine Kerkerzelle, sondern ein Schlafgemach, aber wie sie dort hingelangt war, daran konnte sie sich beim besten Willen nicht entsinnen. Das Letzte, an das sie sich erinnerte, war Frohinia,
die sie – indem sie alles zunichte machte, was seitens R'shiels so sorgsam geplant worden war – mit gehässigem, aber durchaus klarem Blick angestarrt hatte.
»Wie ich sehe, bist du wach.«
R'shiel drehte den Kopf in die Richtung der Stimme. Der Mann musste Karier sein.
»Kann ich ein wenig Wasser haben?«, röchelte R'shiel.
Der Karier nickte. Hände hoben sie an, bis sie saß. Ein Becher wurde an ihre Lippen gesetzt, und erleichtert trank sie kühles Wasser. Auch der Mann, der sie stützte, war Karier; sein Kopf wies eine Tonsur auf, und er hatte den für karische Geistliche eigentümlichen Gesichtsausdruck eines Eiferers. Furcht stach wie ein Messer durch R'shiels Herz. Schon einmal war sie das Opfer eines karischen Priesters geworden. Etwas Derartiges wollte sie kein zweites Mal erleben.
»Dein Versuch, die Schwesternschaft durch Lug und Trug auf deine Seite zu ziehen, ist gescheitert. Du entsinnst dich daran, ja?«
»Wer seid Ihr?«
»Ich bin Herzog Terbolt von Setenton, Geheimrat König Jasnoffs des Dritten von Karien sowie geweihter Vertreter Xaphistas des Allerhöchsten auf Erden.«
»Sollen derlei Titel mich etwa einschüchtern?«, fragte R'shiel. Nun wies sie den Becher ab, doch zu spät war ihr eingefallen, dass das Wasser irgendwelche Mittelchen enthalten könnte.
Der Karier schnitt eine ungnädige Miene. »Du tätest klug daran, mehr Achtung zu zeigen, Dämonenkind. Ich kann dich jederzeit über die Klinge springen lassen.«
R'shiel musterte ihn und bemühte sich darum, einen
klaren Gedanken zu fassen. Hartnäckig missachtete sie die Beschwerden ihrer Stirn. In dieser Stunde durfte sie sich durch nichts ablenken lassen. »Hättet Ihr die Absicht, mich zu töten, wäre es längst geschehen.«
Sehr bedächtig, so als widerstrebte es ihm, die Richtigkeit ihrer Aussage zu bestätigen, nickte Herzog Terbolt. »Du lebst noch, weil es der Wunsch des Allerhöchsten ist, Dämonenkind. Aber solltest du seinem Willen nicht gehorchen, kann er seine Meinung recht schnell ändern.«
»Dann tötet mich ohne weiteren Aufschub«, empfahl R'shiel. »Lieber sterbe ich, als in irgendeiner Hinsicht Xaphista hörig zu sein.«
Bei dieser Lästerung zog der karische Adelige ein noch böseres Gesicht. Der Priester gab sogar ein Aufkeuchen von sich.
»Nicht, Garanus«, befahl Terbolt. Weil der Geistliche hinter ihr lauerte, konnte R'shiel nicht erkennen, welchen Vorsatz er gefasst hatte.
»Sie hat wider den Allerhöchsten gelästert, Herzog.«
»Sie versteht es nicht besser.«
»Mag sein, Herzog, aber …«
»Nein, Garanus, Seine Majestät hat eindeutige Weisung erteilt. Auf keinen Fall darf ihr irgendetwas angetan werden. Der Allerhöchste verfolgt mit dem Dämonenkind überaus bedeutsame Absichten.«
Mühevoll setzte sich R'shiel aus eigener Kraft auf und blickte dem Karier ins Gesicht. »Hört mich an: Ich habe keine Ahnung, warum Ihr meint, ich sei
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