Dämenkind 2 - Kind der Götter
und ihr schließlich die Haare
abgeschnitten hatte. Unterdessen war Brakandaran fruchtlos gegen die unkenntliche Trennwand angerannt, die ihn von der gemeinen Welt absonderte.
Am schlimmsten war jedoch, dass er Zeuge war, wie R'shiel von Tag zu Tag tiefer in Verzweiflung sank; sie rückte der Gefahr des Nachgebens täglich ein wenig näher und damit immer mehr dem Tag entgegen, an dem er sie vielleicht töten musste.
Brakandaran hatte zu R'shiel ein höchst merkwürdiges Verhältnis. Man hatte ihn ausgeschickt, um das Dämonenkind aufzuspüren, es ins Sanktuarium zu bringen und teils als sein Beschützer, teils als Lehrer tätig zu werden. Anfangs hatte er einen eher unvorteilhaften Eindruck von R'shiel gehabt: Sie war verwöhnt, neigte zum Herrischsein, hatte aber auch eine aufrührerische Ader. Sie war nachtragend, grollte lange und machte gern, wenn es ums Heimzahlen ging, gründlich reinen Tisch. Zunächst hatte Brakandaran sie wenig geschätzt.
Infolgedessen hatte es eine beträchtliche Weile gedauert, bis er einsah, dass ihr Betragen ebenso ein Ergebnis ihrer wahren Natur wie auch ihrer Erziehung war. Nicht nur einmal war sie tief gekränkt worden, und alle, die ihr wehgetan hatten, sollten die Folgen zu tragen haben. Zudem zeichnete sich Brakandaran durch hinlängliche Abgebrühtheit aus, um zu erkennen, dass gerade jene Eigenschaften, die ihm Anlass zum Argwohn gaben, als die Art von Tugenden gelten mussten, deren jemand bedurfte, dessen Bestimmung es war, einen Gott zu stürzen.
Als er die Suche nach dem Dämonenkind angetreten hatte, hatte ihm verschwommen das Bild eines edlen
Jünglings vorgeschwebt, eines Menschen reinen Herzens, der sich großmütig der ihm bestimmten Aufgabe verschwor … Doch weiter hatte er seine Vorstellung nicht gesponnen. Jemanden wie R'shiel hatte er jedenfalls nicht erwartet; auf eine schwierige, schwermütige junge Frau, die von der lieblosesten und kaltsinnigsten Stiefmutter aufgezogen worden war, die jemals der Schwesternschaft des Schwertes angehört hatte, war er ganz und gar nicht gefasst gewesen.
Erst als er herausfand, in welchem Umfang ihre Leiden den Segen der Götter hatten, entwickelte er ihr gegenüber echtes Mitgefühl. Die Art und Weise, wie Zegarnald sie zu »stählen« gedachte, bedeutete für R'shiel einen beschwerlichen, ja grausamen Werdegang, und sie stand noch längst nicht am Ende des Wegs.
Bewahrte er innerlich Abstand, hatte er für die zugrunde liegenden Überlegungen Verständnis. Xaphista war ein Meister der Verführung. Millionen von Kariern hatte er dazu verleitet, an seine Göttlichkeit zu glauben. Für ihn verkörperte ein Harshini-Halbblut keine Gefährdung, es sei denn, das besagte Halbblut war gegen seine Verlockungen gefeit. R'shiel musste so unerschütterlich zu seiner Vernichtung entschlossen sein, dass er sie unmöglich aufhalten konnte. Sie musste hart genug werden, um zuschauen zu können, wie allem, was ihr lieb und teuer war, die Austilgung drohte, ohne in ihrem Vorsatz zu schwanken.
Sie hatte es überstanden, von Frohinia erzogen, durch Loclon geschändet sowie seitens der Schwesternschaft verbannt zu werden, eine eigentlich tödliche Verletzung überlebt und auch die Enthüllung verwunden, Mitglied
eines Volkes zu sein, das sie von Kindesbeinen an hatte verabscheuen sollen. Diese Erlebnisse hatten bei ihr deutliche Spuren hinterlassen, aber nicht einmal im Entferntesten hingereicht, um ihr das Rückgrat zu brechen. Nun jedoch fragte sich Brakandaran, ob ihre gegenwärtige Lage bewirken könnte, was alle zuvorigen Zumutungen nicht erreicht hatten …
Als sie, nachdem Loclon die Schlafkammer verlassen hatte, zu Bewusstsein kam, verging ein Weilchen, bis sie sich wieder zurechtfand. Ihr Gesicht sah scheußlich aus: Die Stirn war geschwollen, verunstaltet durch Blutergüsse und bedeckt mit geronnenem Blut. Sie lag auf dem Bett und stierte zur Decke, als versuchte sie sich daran zu erinnern, wie sie in diese Kammer gelangt sein mochte. Nach einer ganzen Weile setzte sie sich schließlich auf und strich sich mit den Fingern durchs Haar. Da erstarrte sie vor Schreck, und als sie sich bang umschaute, sah sie ihren gesamten roten Schopf sorgsam ausgebreitet hinter sich auf dem Kissen liegen.
Zuerst betrachtete sie nur verwirrt das abgetrennte Haar, dann sprang sie vom Bett auf und eilte zu dem Spiegel, der über dem Ankleidetisch hing. Als sie ihr Abbild erblickte, fuhr Brakandaran zusammen. Eitelkeit ließ sich R'shiel nicht
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