Dämenkind 2 - Kind der Götter
Kariers, der sich als Knappe Mathen vorstellte, löste das Rätsel: Auf ihn hatte der Herzog gewartet. Mit ihm beratschlagte er sich etliche Stunden lang hinter verschlossener Tür. Als sie wieder zum Vorschein kamen, kündete Terbolt die Abreise an.
Begierig hatte Loclon diese Stunde ersehnt, weil er sich davon versprach, zu guter Letzt die unumschränkte Macht der Ersten Schwester genießen zu dürfen. Brakandaran fragte sich schon seit längerem, ob Terbolt wohl wirklich so töricht wäre, Loclon die Herrschaft zu überlassen. An sich erweckte der Herzog nicht den Ein
druck eines Dummkopfs, und dass Loclon die Dämonin entwischt war und er R'shiel drangsaliert hatte, förderte zwischen den beiden Männern kein nutzbringendes Zusammenwirken, sondern schürte Terbolts Misstrauen. Brakandaran erachtete es als günstiger für alle Beteiligten, würde der Herzog ganz einfach Loclons schlafendem Leib die Kehle durchschneiden und seine Seele zum Dahinwelken verurteilen.
Man bewachte Loclons Körper in einer Räumlichkeit, die zu den Gemächern der Ersten Schwester zählte. Die Geistlichen umsorgten den Leib mit gewohnheitsmäßiger Tüchtigkeit. Nach den Maßstäben der Harshini stellte es keine allzu große Herausforderung dar, jemandes Geist in einen anderen Körper zu versetzen. Allerdings verrichteten die Harshini eine solche Handlung nur bei Vorliegen außerordentlich guter Gründe; und daher geschah es äußerst selten. Hätte irgendwer an diese Möglichkeit gedacht, wäre es durchführbar gewesen, vor dem Aufbruch zur Zitadelle selbst jemanden in Frohinias Leib zu stecken; allerdings hätte es, so vermutete Brakandaran in Anbetracht der jüngsten Vorkommnisse, wohl keinen Unterschied gemacht, weil Zegarnald offenbar den festen Willen hegte, R'shiel bis an den Rand des Zusammenbruchs zu stählen.
Indessen waren mit einem derartigen Austausch gewisse Gefahren verbunden. Starb der Wirtskörper, fuhr der fremde Geist ohne Verzug – und ohne Schlimmeres als einen argen Schrecken zu erleiden – zurück in den eigenen Leib. Doch starb der verlassene Körper, hatte die Seele keine Heimstatt mehr. Ein, zwei Tage hindurch konnte sie überdauern, länger nicht, bevor sie
ihrem Fleisch in den Tod folgte. Die Übertragung von Loclons Geist in Frohinias Gestalt hatte keinerlei Ähnlichkeit mit der unvergleichlich kunstfertigen Entfernung des Verstands, die Dacendaran bei Frohinia vorgenommen hatte. Hier war vielmehr eine Rotte karischer Priester am Werk gewesen, denen es an den höheren, feinen Fähigkeiten einer Gottheit mangelte. Sie hatten schlicht und einfach Loclons vollständigen Geist – mitsamt allem, was dazugehörte – in Frohinias wehrlosen Leib versetzt.
Knappe Mathen sollte sich in der Zitadelle einnisten, um der Ersten Schwester »eine Hilfe« zu sein. Loclon kochte vor Wut, hatte jedoch keine Wahl, als sein Einverständnis zu bekunden. Zur Seite blieben Mathen dabei zwei Priester, stellte Terbolt klar – und überreichte dem Knappen mit beträchtlichem Aufheben den Schlüssel zu der Kammer, in der Loclons Körper ruhte. Nicht einmal Loclon konnte diese Warnung missdeuten.
Auch Terbolts Ankündigung der nahen Abreise rührte R'shiel nicht aus der Teilnahmslosigkeit. Sie würdigte ihn kaum eines Blicks. Loclon wartete vor der Tür und ärgerte sich über Frohinias lange Kleider. Sobald Terbolt den Flur betrat, verlangte Loclon zu erfahren, mit wem er es bei Mathen eigentlich zu schaffen habe. Brakandaran schickte sich an, den beiden zu folgen, da jedoch gewahrte er plötzlich, dass Garet Warner vor R'shiels Kammer eintraf. Er sagte etwas zu den Wächtern vor ihrer Tür, das Brakandaran nicht verstand, dann ging er hinein. Daraufhin zog Brakandaran es vor, seine Aufmerksamkeit Garet Warner zu schenken.
Anscheinend bestürzte R'shiels Verfassung den Ob risten tief; sie jedoch beachtete ihn so wenig, wie sie im Lauf der vergangenen Woche überhaupt an nichts Anteil genommen hatte. Warner kniete sich neben ihren Stuhl und rüttelte sie sachte an der Schulter.
»R'shiel?« Sie beachtete ihn nicht; oder vielleicht hatte sie sich so weit fort ins eigene Innere gekehrt, dass sie seine Anwesenheit tatsächlich nicht bemerkte. »R'shiel?«
Endlich drehte sie mit ausdruckslosem Blick den Kopf. »Was …?«
»Du reist heute mit Herzog Terbolt ab.«
»Ich weiß.«
»Den Hüter-Legionen an der Nordgrenze ist die Waf
fenstreckung befohlen worden.«
»Ich weiß.«
Warner murmelte etwas, das nach einem
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