Dämenkind 2 - Kind der Götter
Fluch klang.
»Begreifst du meine Worte, R'shiel? Weißt du eigentlich, wer ich bin?«
»Ich kenne Euch«, antwortete sie tonlos. »Ihr habt mich verraten.«
Der Obrist nickte, als ob ihre Antwort ihn aus irgendeinem abartigen Grund zufrieden stellte. »Ich habe dich nicht verraten, R'shiel. Bloß verhält es sich so, dass ich dir aus einer Karzerzelle heraus keine Hilfe erweisen kann. Verstehst du mich? Ersiehst du, warum ich tun musste, was ich getan habe?«
Erstmals zeigte R'shiel ein gewisses Interesse an seinen Ausführungen. »Ihr habt getan, was unter bestimmten Umständen zu tun von Euch angekündigt wurde. Brakandaran hat Euch einen ehrlichen Menschen genannt.«
»Diese Beschreibung wollte ich nicht für mich selbst wählen, aber ich glaube zu verstehen, was er meint.« Warner langte in den Stiefel und zog ein schmales Messer mitsamt Scheide heraus. »Kannst du es irgendwo verstecken?«
Begriffsstutzig betrachtete R'shiel das Messer. »Wofür?«
»Vielleicht um zu fliehen? Oder möchtest du nach Karien reisen?«
»Ich muss zum Allerhöchsten. Er wünscht, dass ich mich ihm anschließe.«
Garet Warner stieß ein Aufstöhnen aus und schob das Messer in R'shiels Stiefel. »Tu, was du tun musst, R'shiel. Meine Sorge gilt allein Medalon. Ich für meinen Teil habe alles für dich getan, was in meiner Macht stand.«
Der Obrist verließ R'shiel, und die Wachen traten ein, um sie nach unten zu bringen. Sie gestattete, dass man ihr einen schlichten Wollmantel um die Schultern legte, und ließ sich widerstandslos abführen. Brakandaran folgte ihr und den Kariern die Treppenflucht hinab. Gerne hätte er aus Erbitterung aus vollem Hals geschrien. Waren sie erst einmal zur Zitadelle hinaus, befand sich R'shiel gänzlich außerhalb seiner Reichweite.
Garanus half ihr beim Einsteigen in die Kutsche und kletterte anschließend selbst hinein. Kaum fiel der Wagenschlag zu, rollte das Gefährt an und fuhr zum Haupttor, wo Herzog Terbolt mit einem Geleit von fast eintausend Hütern wartete, um den Weg in die Heimat anzutreten. Im ganzen Leben hatte sich Brakandaran noch nicht hilfloser gefühlt.
»Zegarnald!« Vom Donnerhall seines Ausrufs schien die graue Zwischenwelt, in der er gefangen saß, im Ganzen zu erbeben. »Zegarnald! Lass mich hinaus!«
Ihm antwortete nichts als vollständige Stille.
55
GERADE HATTE ADRINA ihre Sachen gepackt – falls man die Tatsache, dass sie ihre wenigen Habseligkeiten in einen Beutel gestopft hatte, überhaupt so nennen konnte –, da ging die Tür auf, und Tarjanian Tenragan stand auf der Schwelle.
»Wenn Ihr fortzugehen gedenkt, Eure Hoheit, dann macht Euch unverzüglich auf den Weg«, sagte er. »Die Karier kommen.«
»Wie kann das sein? Damin hat erwähnt, Hochmeister Jenga habe eingewilligt, nicht die Waffen zu strecken, ehe wir fort sind.«
»Ich habe keine Ahnung. Vielleicht kennen sie inzwischen den aus der Zitadelle an uns ergangenen Befehl. Ich schließe nicht aus, dass sie gar irgendwie dahinterstecken. Ich weiß nur, dass eine Schar Ritter unter einer Heroldsfahne auf unser Lager zureitet.«
Adrina fluchte auf eine Art und Weise, die man selten von einer hoch geborenen Adeligen hörte. »Tamylan, spute dich und suche … Nein, bleib lieber bei mir, wenn ich's recht bedenke, jemand könnte dich erkennen. Seid Ihr Euch dessen sicher, dass sie aufs Lager zuhalten?«
»Ja.«
»Wie viel Zeit haben wir noch?«
»Leider nicht mehr viel.«
»Dann warten wir wohl am besten nicht länger.«
Adrina packte den Beutel und warf ihn über die Schulter. Tenragan eilte voraus in den Flur. Wachen standen keine mehr vor der Tür. Schon vor Tagen hatte Hochmeister Jenga das Aufstellen von Wächtern beendet, nachdem ersichtlich geworden war, dass Adrina ihre Unterkunft im Kastell inzwischen zu selten in Anspruch nahm, um eine fortgesetzte Bewachung zu rechtfertigen.
Tamylan auf den Fersen, folgte Adrina dem Hauptmann. Sie waren die halbe Treppe hinabgestiegen, als er plötzlich verharrte und sie mit ausgebreiteten Armen aufhielt. Laut knarrte, während man es aufschob, das Portal der Halle.
»Schleunigst zurück nach oben!«, zischelte Tenragan.
Adrina bedurfte keiner zweiten Warnung. Sie schubste Tamylan voraus und hastete die Stufen empor. Auf dem Treppenabsatz gab Tenragan ihnen durch einen Wink zu verstehen, sie sollten sich in die Waagerechte begeben. Kaum hatten sie sich bäuchlings ausgestreckt und lugten vorsichtig hinunter in den Saal, da kamen auch schon die
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