Dämenkind 2 - Kind der Götter
Mikel so richtig begriff, wie ihm geschah, saß er vor Andony auf dessen riesigem Schlachtross und ritt aus dem medalonischen Heerlager in Richtung Heimat.
Erst kurz vor Mitternacht fand sich Herzog Rollo in seinem Zelt ein, und mit ihm kam Kronprinz Cratyn. Mikel schrak aus leichtem Dösen auf. Angesichts der ernsten Miene des Prinzen geriet Mikel in seinem Entschluss, ihm den gesamten Umfang der Verräterei Prinzessin Adrinas zu offenbaren, beinahe ins Wanken.
»Wiederhole Seiner Hoheit, was du mir erzählt hast«, lautete Herzog Rollos Befehl. Mikel war aufgesprungen und strich sich mit der Hand durch die vom Halbschlaf zerzausten Haare.
»Die Prinzessin ist mit Kriegsherr Wulfskling fortgeritten«, sagte Mikel zu Prinz Cratyn. Das Glosen des Kohlenbeckens warf einen Schatten auf die Miene des Prinzen.
»Dann ist sie also nach Medalon geflüchtet und nicht nach Schrammstein, wie wir annahmen.«
»Sie hatte mir gesagt, sie wolle nach Fardohnja, Eure Hoheit, um für den Feldzug den Beistand ihres Vaters zu gewinnen.« Mikel hielt es für äußerst wichtig, früh
zeitig seine Unschuld an den Vorgängen herauszustellen. »Ich war der Ansicht, sie täte es auf Euer Geheiß, Hoheit.«
»Lügenhafte Hexe«, murmelte der Prinz. »Was weiter?«
Bang schielte Mikel Herzog Rollo an.
»Rück auch mit allem Übrigen heraus, mein Junge.«
»Ich habe beobachtet, Eure Hoheit, wie sie sich küssten …«
»Du meinst, Wulfskling hat sie dazu genötigt?«
Traurig schüttelte Mikel den Kopf. »Nein, Eure Hoheit. Sie war … Offenbar hatte sie nichts dagegen einzuwenden. Sie nannte Euch gar …«
»Was? Wie hat sie mich genannt?«
Starren Blicks betrachtete Mikel seine Stiefelspitzen. »Kronprinz Kretin den Kriecher.«
»Sieh an. Und was hat sie des Weiteren geredet?«
Verzweifelt blickte Mikel auf der Suche nach Rückhalt zu Herzog Rollo. Trotz aller Vorsätze mochte er eigentlich gar nicht wiederholen, was er gehört hatte.
»Der Prinz muss die Wahrheit erfahren, mein Junge«, brummte der Herzog in einem Ton, in dem fast Mitgefühl anklang. »Sag ihm alles, was du weißt.«
Mikel nickte und wiederholte, was er belauscht hatte. Er schilderte das Zusammentreffen der Prinzessin und des Kriegsherrn auf dem Turm des Kastells. Er beschrieb, was er im Stall gehört und gesehen hatte. Er erzählte in der Tat alles, was er wusste, obwohl es ihm nahezu das Herz brach, der Überbringer so scheußlicher Enthüllungen zu sein.
Gedämpft schimpfte der Kronprinz vor sich hin und wandte sich schließlich an Herzog Rollo. »Wie ganz und gar unerträglich! Ich werde ein Geschwader von Reitern aussenden, um sie zu ergreifen. Bei Xaphista, ich will die Hexe auf dem Scheiterhaufen schmoren sehen!«
»O ja, wir greifen sie uns«, stimmte der Herzog zu. »Aber wünscht Ihr es in der Tat an die Öffentlichkeit dringen zu lassen, dass ein Eheweib, das bei Euch keine Befriedigung fand, sich zum Trost einem Hythrier an den Hals geworfen hat?«
Wütend schritt Prinz Cratyn im Zelt auf und ab. »Sie darf auf keinen Fall ungestraft davonkommen.«
»Sehr richtig, aber es sind gewisse Rücksichten zu nehmen.«
»Was für Rücksichten?! Sie hat mich vor aller Welt erniedrigt!«
»Und sie wird Euch umso tiefer erniedrigen, sollte die Wahrheit ans Licht gelangen. Daher geht es nicht an, sie etwa vor Gericht zu stellen, mein Prinz.«
Der Kronprinz blickte dem Herzog ins Gesicht. Anscheinend hatten die beiden Männer Mikels Anwesenheit schon vergessen.
»Ihr deutet doch wohl nicht etwa den Vorschlag an, ich sollte sie wieder als Gemahlin bei mir aufnehmen?«
»Selbstverständlich nicht. Ich schlage vor, Ihr unternehmt alles, was in Eurer Macht steht, um Eure Gattin aus den Klauen eines Barbarenhäuptlings zu befreien, der sie geraubt und geschändet hat. Wenn sie bei dem Rettungsversuch das Leben verliert, ist das zwar ein beklagenswürdiges Unglück, aber nicht zu ändern.«
»Wenn sie tot ist, haben wir keine Aussicht mehr auf einen Erben.«
»Sie ist durch einen anderen Mann besudelt worden. Ohnehin kann aus Eurer Ehe kein Erbe hervorgehen.«
Kronprinz Cratyn nickte. Offensichtlich bereiteten Herzog Rollos Anregungen ihm wilde Genugtuung.
»Ich selbst gedenke die rettenden Reiter anzuführen.«
»Ein überaus heldenmütiges Vorgehen, Eure Hoheit. Sicherlich wird das Ableben Eurer Gattin Euch mit untröstlichem Gram schlagen. Indessen bin ich mir sicher, dass Ihr die Trauer beizeiten verwindet.«
Kaltsinnig lächelte Cratyn.
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