Dämenkind 2 - Kind der Götter
»Darauf richtet sich meine Hoffnung. Und was wird aus dem Jungen?«
Kurz streifte der Blick des Herzogs Mikel, ehe er sich wieder an den Kronprinzen wandte. »Mag sein, Eure Hoheit, es ist sinnvoll, Ihr nehmt ihn mit Euch. Immerhin ist er als Zeuge des … Vertrauensbruchs Eurer Gemahlin zu betrachten.«
Der Prinz nickte. »Es wäre sehr bedauerlich, stieße ihm gar etwas zu.«
»Höchst bedauerlich«, bestätigte Herzog Rollo.
Mikel musterte den Prinzen und den Herzog, ohne sich gänzlich darüber im Klaren zu sein, ob er ihre Äußerungen verstand.
57
ANFANGS SPENDETE DIE FINSTERNIS, in die sich R'shiel zurückzog, ihr Trost. Dort fanden die Erinnerungen an das Konzil und alles, was sich an jenem schrecklichen Abend ereignet hatte, keinen Einlass. Es gab keinen Schmerz, keinerlei unerträgliche Schuldgefühle, keine Verzweiflung. Nur segensreiche Leere hatte an diesem Nicht-Ort Bestand, wo niemand ihr Pein zufügen konnte.
Schon einmal war sie dort gewesen. Das erste Mal hatte sie diesen Ort auf dem Weg nach Grimmfelden entdeckt, als Loclon sie zu seinem Werkzeug erwählt hatte, um sich an Tarjanian zu rächen. Auch in der Nacht, als Loclon um ein Haar von ihr getötet worden wäre, hatte sie dort Zuflucht erlangt. Ebenso hatte sie, nachdem sie im Sanktuarium, mitten unter den Harshini, erwacht war, für eine Weile an dieser innergeistigen Stätte verweilt, bis Korandellans Magie-Anwendung ihr aufgewühltes Gemüt beschwichtigt hatte und sie sich allmählich wieder der Wirklichkeit hatte stellen können.
Ein verlockender, verführerischer Ort war es, und jedes Mal, wenn sie dorthin den Rückzug antrat, fiel es ihr schwerer, ihn zu verlassen.
Gewisse seelische Bereiche R'shiels nahmen noch Anteil an der wirklichen Welt. Sie fühlten sich angesprochen, sobald jemand mit ihr redete, sorgten dafür, dass
sie die Mahlzeiten einnahm, die man ihr vorsetzte, und bewirkten, dass sie in der Kutsche sitzen blieb, während sie gen Norden rollte, und Tag um Tag ohne Interesse hinaus in die winterbraune Ebene starrte. Doch es waren nur kleine Bestandteile ihres Ichs. Gerade umfangreich genug, um ihr das nackte Leben zu erhalten.
Tief im Innersten wusste R'shiel, dass sie dort nicht unbegrenzt verweilen konnte. Wie selig dieser Zustand der Zurückgezogenheit auch sein mochte, es war ihr Harshini-Blut, das vor Gewalt und Leid floh. Ihre menschliche Seite trachtete nach Rückkehr, um an all denen, die Unsegen über sie gebracht hatten, schwerste Vergeltung zu üben.
Und ihr menschlicher Teil war es, an den sich Xaphista wandte.
Zunächst scherte sie sich gar nicht um seine Stimme. Die sinnlich-tröstlichen Töne schienen ihr lediglich ein ferner Widerhall zu sein, der sie nicht weiter betraf. Es dauerte lange, bis sie das Raunen durchschaute. Und noch viel länger, bis sie sich dazu herbeiließ, darauf zu antworten.
Du fliehst das Leid, Dämonenkind. Lass mich es dir lindern.
›Dämonenkind‹ gerufen zu werden bewog sie schließlich zum Widerspruch. Sie hatte die Bezeichnung nie gemocht.
Nenn mich nicht so.
Wie möchtest du genannt werden?
Spar dir die Mühe, mich überhaupt irgendetwas zu nen nen. Lass mich einfach in Frieden.
Die Stimme gab keine Antwort, und R'shiel vermisste sie nicht.
Doch später – wann genau, blieb ihr unklar, denn in ihrer innerseelischen Fluchtburg konnte sie das Verstreichen der Zeit nicht verfolgen – kehrte die Stimme wieder. Diesmal klang sie stärker, als hätte R'shiels erster Widerspruch sie merklich gekräftigt.
Ich kann dir helfen, R'shiel.
Woher weißt du meinen Namen?
Alle Götter kennen den Namen des Dämonenkinds.
Bist du ein Gott?
Ich bin der einzig wahre Gott. Allemal werde ich es durch deinen Beistand einmal sein.
Verdrossen lachte R'shiel auf. Durch meinen Beistand? Weshalb sollte ich dir Beistand leisten?
Weil ich deinen Schmerz lindern kann, R'shiel. Ich kann dich vom Leid erlösen.
Kannst du die Zeit umkehren?
Nein.
Dann kannst du für mich nichts tun. Geh fort.
Die Stimme tat wie geheißen und ließ sie mit ihren Gedanken allein.
Verschwommen beobachtete der noch im Leben verhaftete Teil R'shiels, wie sich ringsum, indem die Tage kürzer wurden, die Landschaft veränderte, wie das silberne Band des Gläsernen Flusses näher rückte. Aus irgendeinem Grund verursachte der Anblick des breiten Stroms bei ihr eine kurze Anwandlung des Unbehagens, als bescherte sein Überschreiten für sie etwas Unwiderrufliches.
Fürchtest du dich davor, den Fluss zu
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