Dämenkind 2 - Kind der Götter
unvollendet. Er fürchtete sich davor, seine Sorge in Worte zu fassen.
»Wer wohl dort in der Kutsche sitzt?«, meinte Colsy und wies auf ein prunkvolles, von sechs gleichfarbenen Pferden gezogenes Gefährt, das hinter dem karischen Adeligen und seinem Gefolge des Wegs rollte.
»Das ist die Kutsche der Ersten Schwester.«
»O weh, gerade sie hat uns noch gefehlt«, stöhnte Damin. »Frohinia Tenragan in all ihrer schaurigen Schönheit. Ich dachte, du hättest ihren Verstand, nachdem Dacendaran ihn gestohlen hatte, zur Gänze vernichtet?«
»Genauso ist es geschehen.«
Damin steckte das Fernrohr ins Behältnis und wälzte sich auf den Rücken. Er schob die Hände in den Nacken und blickte für die Dauer einiger Herzschläge empor in
den fahlen Himmel. »Sie dürften gegen Abend an uns vorüberziehen.«
»Oder sie rücken uns auf den Pelz.«
»Ich habe mich stets für einen höchst tüchtigen Krieger gehalten, Tarjanian, aber zehn zu eins ist selbst für meine Begriffe ein allzu ungünstiges Kräfteverhältnis.«
Tarjanian nickte. »Durch ein Gefecht könnten wir uns nur in die Nesseln setzen.«
»Was also sollen wir tun? Verborgen bleiben, bis sie weitergezogen sind? Querfeldein reiten?«
»Weichen wir ab von der Landstraße, brauchen wir länger, um den Fluss zu erreichen, und noch mehr Zeit, um eine Stelle zu finden, wo wir übersetzen können. Die einzige taugliche Fähre nördlich Testras gibt es in Hirschgrunden.« Tarjanian verzichtete auf den Hinweis, dass der Querfeldeinweg bedeutete, sich nach Westen wenden zu müssen. Zweifelsfrei hatte Damin ohnehin darüber Klarheit.
»Dann haben wir, wie es den Anschein hat, keine Wahl. Wir verbergen uns, bis sie fort sind.«
»Das mag weniger einfach werden, als es dir vorschwebt. Wohl übt Herzog Terbolt den Oberbefehl aus, aber das hindert die Hüter gewiss nicht daran, sich an ihre gewohnten Verfahrensweisen zu halten. Sie schicken Späher aus, da kannst du sicher sein.«
»Ich habe keine Hüter-Späher bemerkt«, sagte Colsy.
»Doch das heißt noch längst nicht«, hielt Tarjanian ihm entgegen, »dass keine unterwegs sind.«
Zum Zeichen der Zustimmung nickte Damin. »Der vortreffliche Ruf des Hüter-Heers ist verdient. Umso
mehr haben wir Grund, diesem Haufen aus dem Weg zu gehen.«
»Wenn wir alle ratsame Vorsicht walten lassen«, antwortete Tarjanian, »müsste es uns gelingen.«
Versonnen lächelte der Kriegsherr. »Entsinnst du dich noch an die guten alten Zeiten, Tarjanian? Als du und ich noch ganz genau wussten, wer der Feind war? Ach, ein wenig sehne ich mich danach zurück.«
»Ich erinnere mich gut. Du warst der Feind, wenn ich mich nicht irre.«
»Und du warst mir stets um einen Schritt voraus. Schon immer wollte ich dich einmal fragen, wie es dir eigentlich gelungen ist.«
»Wahrscheinlich sollte ich dein Lob genießen, aber damals war das Glück mir noch des Öfteren hold.«
Damin grinste. »Ich glaube dir nicht. Kein Mensch kann so viel Glück haben.«
»Nun denn, wenn es dich eher zufrieden stellt: Der Grund lag in meiner ganz außerordentlichen Bewandertheit in der Kriegskunst.«
»So wie ich es vermutet habe«, sagte Damin. Er wälzte sich herum und beobachtete den Hüter-Heerwurm. »Ich kann es dir nicht verschweigen, aber der Anblick dieser Hüter verdirbt mir, wie dir klar sein dürfte, für den heutigen Tag vollauf die Laune.«
»Du wirst es verwinden.«
»Voraussichtlich.« Damin stieß einen Seufzer aus. »Lass uns zu den Gefährten umkehren.«
»Unternehmen wir denn gar nichts ?«, fragte Colsy voller offenkundiger Enttäuschung.
»Wir halten uns verborgen, mein Freund.«
»Weiber pflegen sich zu verstecken.«
»Und ungewöhnlich kluge Männer«, erwiderte der Kriegsherr.
Bis sie Almodavar und den Rest der Schar ausfindig machten, wurde es Spätnachmittag. Der hythrische Reiterhauptmann hatte, um ihre Anwesenheit zu verhehlen, Vorzügliches geleistet. Abgesehen von ein paar verstreuten Hufspuren, die in die ungefähre Richtung des Hains führten, wies nichts darauf hin, dass sich zwischen den Bäumen über einhundert Männer verbargen. Tarjanian betrachtete das Lager voller Wohlwollen. Bisweilen konnte man den Eindruck erlangen, dass es den Hythriern an kriegerischer Zucht und Ordnung mangelte, aber kam es auf Entscheidendes an, befolgten sie Befehle mit aller Verlässlichkeit.
Als er und Damin ins Gehölz ritten, eilte ihnen Adrina entgegen. Sie hatte, so befand Tarjanian, eine bemerkenswerte Wandlung
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