Dämenkind 2 - Kind der Götter
Während schier endloser, mühevoller Tage wüsten Reitens klammerte sich Mikel an den Sattel und verschlang kalte Verpflegung; in den eisigen Nächten fror er erbärmlich. Cratyn kannte keine Rücksicht auf sein geringes Alter oder die mangelnde Erfahrung; ärger noch, wenn sie abends zu guter Letzt rasteten, ließ er ihn schuften wie einen Knecht, das Pferd absatteln, ihm dies bringen und jenes nachtragen, geradeso als wäre er Page daheim in Karien. Langsam verwandelte sich Mikels Bewunderung in mürrische Abneigung.
Am vierten Tag stießen sie endlich auf Spuren, die ihnen bewiesen, auf der richtigen Landstraße zu sein. Auf Umschau nach einem geeigneten Lagerplatz entdeckte ein Ritter zwischen den Bäumen eines kleinen Hains mehrere erloschene Feuerstellen. Die Asche war noch recht frisch. Graf Drendyn, der unter den Beteiligten als der fähigste Jäger galt, äußerte die Schätzung, dass die Hythrier sich nur einen Tag, höchstens eineinhalb Tage voraus befanden.
Diese Mitteilung spornte Prinz Cratyn zu umso grimmigerer Entschiedenheit an, sodass er am nächsten Tag einen noch schonungsloseren Ritt erzwang. Aber am fünften Tag seit dem Aufbruch machte man des Abends eine Beobachtung, durch die sich alles voll und ganz änderte.
Wohl war es dunkel geworden, doch der Mond schien hell. Cratyn hatte es als vertretbar erachtet, noch einige Zeit lang weiterzureiten, jedoch eine verminderte
Geschwindigkeit befohlen. Außerdem hatte er zwei Ritter als Vorhut vorausgeschickt, eine Vorsichtsmaßnahme, auf die er sonst verzichtete. Mikel schwankte im Sattel, während er gleich hinter dem Kronprinzen ritt, und drohte längst aus Erschöpfung vom Pferd zu fallen. Die Hythrier selbst waren weit und breit nicht erspäht worden, jedoch hatte sich Prinz Cratyns Wildentschlossenheit unterdessen zu wahrer Besessenheit gesteigert. Hätte er die Gewissheit gehabt, dass die Pferde es aushielten, er hätte gar noch die ganze Nacht hindurch reiten lassen.
Galoppierende Hufe schreckten Mikel aus der Benommenheit. Mit einem Schlag war er hellwach. Einer der beiden Vorausgerittenen kam angesprengt. Cratyn befahl zu halten und wartete. Wissensdurstig beugte Mikel sich im Sattel vor und hoffte hören zu können, was der Ritter meldete. Waren sie auf die Hythrier gestoßen?
»Mein Prinz, Herzog Terbolt ist nah.«
»Terbolt?«, wiederholte Cratyn; sein Ton klang nach Ratlosigkeit. »Aber er soll doch in der Zitadelle weilen. Mein Vater hat ihn zu eben der Zeit dorthin entsandt, als wir uns auf den Marsch zur Grenze begaben.«
»Er hat ein Geleit von gut und gerne tausend HüterKriegern, mein Prinz. Sie haben nur ungefähr zwei bis drei Landmeilen von uns entfernt ein Lager aufgeschlagen.«
Verdrossen nickte Cratyn. »Von den Hythriern habt Ihr nichts gewahrt?«
»Nein, mein Prinz.«
»Dann haben wir sie vielleicht gar schon überholt. Wir müssen umkehren.«
»Aber Cratyn, was wird bezüglich Terbolts?«, fragte Drendyn. Der junge Graf ritt stets an der Seite des Kronprinzen und war vermutlich der einzige Gefolgsmann, der ihn bloß mit dem Vornamen anreden durfte. »Sollten wir nicht zumindest anstandshalber mit ihm in Verbindung treten?«
»Es fehlt mir an Zeit für Förmlichkeiten«, maulte Cratyn voller Ungeduld.
»Gewiss, aber tausend Augenpaare sehen mehr als zweihundert.«
Kurz überlegte der Prinz und nickte schließlich. »Nun denn, vereinen wir uns mit Herzog Terbolt. Und dann drehen wir zwischen der Grenze und dem Gläsernen Fluss jeden Stein um, bis wir diese verworfenen, heimtückischen Gesellen aufstöbern.«
Einst hatte es eine Zeit gegeben, in der Cratyns Worte bei Mikel inbrünstige Begeisterung ausgelöst hatten; heute jedoch ließen sie ihn schlichtweg kalt.
Kronprinz Cratyn ritt mit Mikel voraus und, begleitet von neugierigen wie auch trotzigen Blicken, geradenwegs hinein ins Hüter-Lager. Graf Drendyn hatte zeitweilig den Befehl über die Eskadron erhalten und sollte Cratyns Rückkehr abwarten. Inzwischen war Mikels Schwärmerei gründlich genug verflogen; ihm war klar geworden, dass es keine Auszeichnung bedeutete, als Einziger den Prinzen begleiten zu dürfen, sondern auf reinem Argwohn beruhte.
Während sie an zahllosen Feuern vorüberritten, an denen Krieger in roten Waffenröcken kauerten, beschäftigte Mikel die Überlegung, wie den Hütern, nachdem
sie vor Karien die Waffen gestreckt hatten, wohl zumute sein mochte. Nach seinen Beobachtungen waren sie stolze Kriegsleute; stolz auf ihr Heer und
Weitere Kostenlose Bücher