Dämenkind 2 - Kind der Götter
Schließlich galt Slarn ja als heilige Erde.
»Ich hoffe, es brennt dort, wo wir hinfahren, ein Feuer«, bemerkte sie, um ihn bei seinem frommen Tun zu stören und eine Unterhaltung anzuknüpfen. »Ist es in Schrammstein kälter als hier?«
Cratyn hob den Kopf und vollendete das Gebet, bevor er antwortete. »Erheblich kälter, Eure Hoheit. Zu gewissen Jahreszeiten liegt dort Schnee.«
Vorfreudig klatschte Adrina in die Hände. »Schnee habe ich noch nie gesehen.«
»In Schrammstein werdet Ihr viel Schnee zu sehen bekommen.«
»Dann muss ich mich darauf verlassen, dass Ihr dafür sorgt, dass ich es auch warm und behaglich habe, ja?« Cratyn in Verlegenheit zu stürzen erwies sich als wirklich kurzweiliger Zeitvertreib.
Zu ihrem stillen Vergnügen lief er erneut rot an. »Ich werde … mein Äußerstes tun, um zu gewährleisten, dass Ihr es … heimelig habt, Eure Hoheit.«
Endlich blieb die Kutsche vor den abweisenden Mauern des Klosters stehen. Der Wagenschlag wurde geöffnet, eine Hand half Adrina beim Aussteigen. Zur Begrüßung erwartete sie eine Schar Geistlicher mit augenfälligen Tonsuren, ungefähr ein Dutzend Ordensritter sowie fünf Frauen, von denen bis auf eine Ausnahme alle jünger als Adrina wirkten. Neugierig schaute sie sich um, während Cratyn gleichfalls aus der Kutsche stieg.
Die ältere Frau trat vor und lächelte mit der Mühelosigkeit eines abgebrühten Höflings.
»Willkommen in Karien, Eure Hoheit«, sagte sie, indem sie einen tiefen Hofknicks vollführte.
»Prinzessin, gestattet mir, Euch die Erste Hofdame Madren vorzustellen«, wandte sich Cratyn an Adrina; auf vertrautem Boden und unter Landsleuten klang seine Stimme gleich selbstsicherer. »Erste Hofdame
Madren, das ist Ihre Durchlaucht, Prinzessin Adrina von Fardohnja.«
Verdutzt blickte die Frau Adrina ins Gesicht. »Adrina? Wir haben Prinzessin Cassandra erwartet.«
»Prinzessin Cassandra hat sich als ungeeignet herausgestellt«, teilte Cratyn der Ersten Hofdame mit merklichem Unbehagen mit, schaffte es diesmal jedoch, nicht rot zu werden. »Prinzessin Adrina ist König Hablets älteste Tochter und als solche für mich eine höchst wünschenswerte Verlobte.«
»Freilich, Eure Hoheit.« Adrina sah Madren an, dass sie aus Wissensdurst, Näheres über den unvermuteten Brautwechsel zu erfahren, nahezu platzte. Sie überlegte, ob Cratyn den wahren Grund einräumen würde oder ob er ein derartiges Eingeständnis als zu peinlich empfände. »Ihr seid uns aus ganzem Herzen willkommen, Prinzessin.«
»Ich danke Euch, Erste Hofdame.«
»Bitte erlaubt mir, Euch mit den nachgeordneten Hofdamen bekannt zu machen.«
Adrina fühlte sich zu fragen versucht, ob das Vorstellen nicht warten könnte, bis sie sich im Innern des Klosters befanden. Im Freien herrschte beißender Frost, und ihr grauste ganz gehörig vor der Aussicht, noch lange auf der trostlosen Freitreppe des Klosters stehen zu müssen, während man sie mit wer weiß wem bekannt machte.
»Das sind Hofdame Gratia, Hofdame Pacifica, Hofdame Espera und Hofdame Virgina.« Jede der bleichen jungen Frauen trat vor, als ihr Name genannt wurde. Befremdet musterte Adrina sie einige Augenblicke lang.
»Sind das ihre echten Namen?«
Bei dieser beleidigenden Frage krampfte sich Madren zusammen. »In Karien ist es Sitte, Eure Hoheit, eine Tochter nach den Tugenden zu benennen, auf deren Entfaltung die Eltern bei ihrem Kind hoffen.«
»Arme Virgina«, murmelte Adrina, dann lächelte sie der Ersten Hofdame begütigend zu. »Um Vergebung, ich hätte mich nicht wundern dürfen. Wir haben in Fardohnja einen ähnlichen Brauch. Mein Name bedeutet: ›Ihre Schönheit spornt Männer zu wahnwitzigen Heldentaten in dem Bestreben an, zum Lohn mit ihr eine Nacht zu verleben.‹«
Natürlich entbehrte Adrinas Name jeder derartigen Bedeutung, aber die Verlockung, den Kariern etwas in der Art unter die Nase zu reiben, war schlicht und einfach zu groß, als dass sie ihr hätte widerstehen können. Schon die Mienen der Karier lohnten ihr die Erfindung überreichlich. Kronprinz Cratyn sah aus, als wünschte er sich, dass sich unter ihm die Erde auftäte, um ihn als Ganzes zu verschlingen, und die Hofdamen erregten den Eindruck, als stünden sie am Rande der Ohnmacht.
»Für welche Tugend steht der Name ›Madren?‹«
»Ich bin nach der heimatlichen Provinz meiner Mutter benannt worden, Eure Hoheit«, gab Erste Hofdame Madren in unverschämt störrischem Tonfall zur Antwort. »Unsere Sitte, Töchter
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