Dämenkind 2 - Kind der Götter
Vonulus nicht festzustellen. Ohne mit der Wimper zu zucken, nahm er ihre Bemerkung zur Kenntnis.
»Ich will hoffen, Eure Hoheit, Ihr erlebt in Eurer neuen Heimat noch mancherlei erfreuliche Überraschungen.«
»Davon gehe ich aus.«
»Meine erste dienstliche Pflicht wird es sein, Euch auf das Ablegen des karischen Ehegelübdes vorzubereiten, Eure Hoheit«, sagte Vonulus. »Die Vermählung wird in Xaphistas Tempel vollzogen, sobald wir uns in Schrammstein befinden. Bezüglich sich geziemender
Kleidung und höfischer Bräuche wird Erste Dame Madren Euch Klarheit verschaffen. Dank der Gnade des Allerhöchsten kann ich Euch dabei behilflich sein, ohne allzu ernstliche Mühe das nötige Wissen der vielerlei Besonderheiten unseres Glaubens zu erwerben.«
»Sag mir, Vonulus«, verlangte Adrina, »was geschähe – nur als Gedankenspiel ausgesprochen –, wenn ich es von mir wiese, mich Eurem Gott zu unterwerfen?«
Der bloße Gedanke entlockte der ersten Hofdame Madren ein Aufächzen. Vonulus dagegen geriet nicht so leicht aus der Ruhe. »Ihr werdet Kariens Kronprinzessin, Eure Hoheit. Eine andere Gottheit anzubeten gälte als Verrat. Ich vermute, in Fardohnja behandelt man Verräter ebenso, wie wir es tun.«
Tröstlich tätschelte Adrina der Ersten Hofdame die Hand. »Ich habe lediglich aus Neugierde nachgefragt, meine Liebe. Keine Bange.«
»Gewiss doch, Eure Hoheit«, gab Madren zur Antwort. »Darüber hatte ich sofort Gewissheit.«
»Willst du dich zum Mittagsmahl zu uns gesellen, Vonulus? Es stimmt mich froh, meine Muttersprache so gewandt gesprochen zu hören.«
»Es ist mir eine Ehre, Eure Hoheit.«
»Darf ich Euch empfehlen, Eure Hoheit«, schlug Madren vor, indem sie die anderen Hofdamen heranwinkte, »Euch in eine … dem Wetter angemessenere Gewandung zu kleiden? Die Hofdamen werden Euch in die Kammer geleiten, die man für Euch vorbereitet hat.«
In der Hoffnung, dass es in dem Gemach wärmer als in dem weiträumigen, zugigen Klostersaal war, ging Adrina gnädigst auf die Anregung ein. Umgeben von
ihren Hofdamen, strebte sie durch die gesamte Länge des Saals zum Ausgang, in dessen große, hölzerne Türflügel man – keineswegs zu Adrinas Überraschung – den fünfgezackten Stern mitsamt Blitz eingeschnitzt hatte. Während sie sich der Pforte näherten, wurde sie geöffnet, und Cratyn und der junge Ordensritter kehrten zurück. Sobald sie die Frauen sahen, blieben die beiden Männer stehen. Cratyns Blick huschte über Adrina hinweg und verharrte an ihrer rechten Seite auf der Hofdame Virgina. In seinen Augen stand deutliche Seelenqual. Adrina schaute Virgina an, erkannte verblüfft in ihren Augen die Feuchtigkeit unterdrückter Tränen und unmissverständliche Sehnsucht.
»Kronprinz Kretin, ich wähnte schon, Ihr könntet mir verloren gegangen sein«, äußerte Adrina fröhlich. War etwa die fahle, fade Virgina der Grund, weshalb es Cratyn so unglücklich machte, zur Ehelichung einer fardohnjischen Braut gezwungen zu werden?
»Der Kronprinz heißt Cratyn , Eure Hoheit«, berichtigte Hofdame Pacifica sie in reichlich ungehörigem Tonfall.
»Sagte ich doch, oder?«, meinte Adrina mit tadellos gespielter Unschuld. »Kretin.« Dass sie seinen Namen falsch aussprach, war eine eigentlich missliche, aber lustige Folge der fardohnjischen Betonung, die sie beim Sprechen des Karischen beibehielt. Gleichzeitig tat sie es selbstverständlich vorsätzlich. In Wahrheit war Adrina des Karischen in aller Vollkommenheit kundig und beherrschte es weitaus fließender, als ihre nur aus absichtsvollem Hintersinn hörbare fardohnjische Sprachmelodie es die Karier ahnen ließ.
Ihr erster Court'esa war ein ausgezeichneter Sprachlehrer gewesen und hatte Adrina die fließende Beherrschung einer ganzen Anzahl von Sprachen beigebracht. Auch diesen Sachverhalt gedachte sie den Karieren zu verhehlen. Seit Jahren hatte sie nicht mehr an den Court'esa gedacht: einen schlanken, sanftmütigen Jüngling mit dunklen Augen und langen, geschmeidigen Gliedmaßen.
»Es besteht kein Anlass zu Beanstandungen, Hofdame Pacifica«, stellte Cratyn klar; offensichtlich wollte er Reibereien vermeiden. »Eure Hoheit, hier seht Ihr meinen Vetter, Graf Drendyn vom Tyler-Pass. Drendyn, das ist Ihre Durchlaucht, Prinzessin Adrina von Fardohnja.«
Leicht ungeschlacht verbeugte sich der junge Graf und lachte wie ein Kind, das plötzlich vor einem neuen, unbekannten Spielzeug stand, übers ganze Gesicht. Adrina mochte ihn auf den ersten Blick. Er
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