Dämenkind 2 - Kind der Götter
nach wünschenswerten Tugenden zu nennen, ist jüngeren Ursprungs.«
»Sei's drum, mit ein wenig Glück stirbt sie bald aus«, entgegnete Adrina mit vorsätzlichem Hochmut. »Wollen wir das Vorstellen drinnen fortsetzen? Es ist beileibe nicht mein Wunsch, so viele Leute mir zuliebe so lange in diesem eisigen Wind stehen zu sehen.«
Während sie den Mantel raffte, lächelte sie Cratyn und Madren freundlich zu. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als ihr ins Gebäude zu folgen.
Auf Slarn war alles feucht, auch dieses Bauwerk. Die aus schwarzem Stein errichteten Mauern schwitzten geradezu Nässe aus, und die im Klostersaal auf dem Steinfußboden ausgestreuten Binsen quatschten leise bei jedem Schritt. Adrina konnte, was die Kälte anbelangte, zwischen den Innenräumen und dem Freien kaum einen Unterschied spüren. In zwei großen, gleichmäßig in den Steinboden gehauenen Gruben loderten beachtliche Feuer, aber sie genügten nicht, um die riesige Räumlichkeit zu erwärmen. Verdrossen blickte Adrina umher. Offenbar zählt Xaphista zu den Göttern, die glauben, dass Armut und Elend ihre Anhänger beglücken , dachte sie; nun flößte ihr die Aussicht, den Rest des Lebens bei seinen Gläubigen zu verbringen, regelrechte Niedergedrücktheit ein. Sie hoffte, dass die Schrammsteiner Königsburg wohnlicher ausgestattet war als dieses Kloster.
Ein Akolyth trat näher, um ihr den Mantel abzunehmen, doch sie winkte ab. Im Kloster war es zu eisig, um auf das warme Kleidungsstück zu verzichten, zumal sie darunter ein fardohnjisches Gewand trug, das in der bitterlichen Kälte wenig taugte. Sie hatte die Absicht gehegt, ihre Art der Kleidung in den Vordergrund zu kehren, weil sie wusste, dass sie gewiss auch damit den frommen Kariern einen Schrecken einjagen konnte; mittlerweile allerdings neigte sie zu der Einsicht, dass es sich empfahl, davon abzusehen. Die nachgerade alles verhüllenden schlichten Wollkleider ihrer Hofdamen
wirkten in der Tat wesentlich wärmer als ihr prachtvolles, mit Reizen beileibe nicht geizendes Kleid.
Sobald sie sich im Innern des Klosters aufhielten, fand das Bekanntmachen seinen Fortgang. Fortwährend lächelte und nickte Adrina, während die Erste Hofdame Madren ihr eine schier endlose Reihe von Geistlichen und Ordensrittern vorstellte. Ausnahmslos wurde Adrina auf feierliche Weise von ihnen begrüßt; angesichts der fremdländischen Braut, die Kronprinz Cratyn nach Hause geholt hatte, machten sie große Augen. Rituell berührte jeder Priester ihre Schulter mit seinem zierreichen, an der Spitze mit Stern und Blitz versehenen Stab, um sich davon zu überzeugen, dass sie kein böser Geist war – oder etwa, was noch fürchterlicher gewesen wäre, eine Harshini in Tarngestalt einer Sterblichen. Adrinas künftiger Gemahl hielt sich unterdessen vollständig aus ihrem Blickfeld fern. Kaum hatten sie die Schwelle des Klosters überquert, war er in Begleitung eines jungen, dunkelblonden Ordensritters verschwunden.
»Und hier, Eure Hoheit, seht Ihr Vonulus«, sagte die Erste Hofdame Madren, als schließlich ein letzter Geistlicher vor Adrina stand. »Er wird Euch als Beichtvater dienen, Euch in den Lehren des Allerhöchsten unterweisen und in allen geistlichen Angelegenheiten beraten.«
Sachte senkte Vonulus den Stab an Adrinas Schulter, dann verbeugte er sich, sodass seine Tonsur im klammen Morgenlicht schimmerte. Adrina maß ihn mit einem neugierigen Blick. Er war nur wenig älter als sie und hatte einen Gesichtsausdruck heiterer Gelassenheit,
die allem Anschein nach einem tiefen inneren Frieden entsprang, von dem Adrina bezweifelte, dass er sich ohne weiteres anfechten ließe.
»Eure Durchlaucht«, erklärte Vonulus in fließendem Fardohnjisch, »es soll mir zur Ehre gereichen, Euch zu Diensten sein zu dürfen.«
Sein erster Fehler , dachte Adrina. Er hätte mir verheimli chen sollen, dass er das Fardohnjische kennt. »Ich blicke der Erleuchtung durch deine Weisheit begierig entgegen, Vonulus.«
»Ich maße mir nicht an, Weisheit vermitteln zu können, Eure Hoheit. Zwar bin ich leidlich belesen, ansonsten jedoch ein einfacher Mann.«
»Für mich bedeutet es eine Überraschung, in Karien jemanden anzutreffen, der überhaupt des Lesens kundig ist«, antwortete Adrina und beobachtete ihn achtsam. Die Karier, denen sie bisher begegnet war, durften getrost als trübsinnige Klötze gelten. Durch die geringste Andeutung einer ungewohnten Sichtweise fühlten sie sich beleidigt. Aber dergleichen war bei
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