Dämenkind 2 - Kind der Götter
keine Lücken. Ich entsinne mich an alles. Und an jeden.«
»Und trotzdem fühlst du nichts?«, fragte der Kriegsgott. »Du trauerst deinen Freunden nicht nach, es erzürnt dich nicht, hintergangen worden zu sein, du fürchtest nicht um ihr Wohlergehen? Höre auf meinen Rat: Kehre diesen Mauern für ein Weilchen den Rücken und sieh, ob du noch das Gleiche fühlst wie in dieser Stunde. Rufe mich, sobald du den Wunsch verspürst, dich aufs Neue zu deinen Freunden zu gesellen. Ich werde dich sicher zu ihnen bringen.«
Im nächsten Augenblick war der Gott verschwunden und ließ eine höchst verwirrte junge Frau zurück. Brakandaran sah den König an und schüttelte den Kopf. »Ihr könnt nicht gegen das Unabwendbare kämpfen, Korandellan.«
Der König seufzte. »Ich bin Harshini, Brakandaran. Ich vermag gegen buchstäblich gar nichts zu kämpfen.«
17
ADRINA HEGTE ALLE ABSICHT, Kronprinz Cratyn dafür, dass er sie geschlagen hatte, büßen zu lassen, und zwar aufs Schwerste. Seine Tat war aus ihrer Sicht mehr als unverzeihlich. In schönster Anknüpfung an die überlieferte Mort'eda – die uralte fardohnjische Kunst des Vergehens – plante sie mit kaltem Vorsatz alles Erforderliche, um verlässlich zu gewährleisten, dass er den Tag verfluchte, an dem er sie das erste Mal erblickt hatte.
Ihr erster Schritt bestand darin, sich seinen Forderungen zu beugen. Über Nacht wurde Adrina zur tadellosen karischen Prinzessin – so vollkommen in ihrem Verhalten, dass sie sich misstrauische Blicke seitens Vonulus' und der Ersten Hofdame Madren einhandelte, die beide ihre Verwandlung mit Argwohn betrachteten. Doch da es ihnen an Beweisen für irgendwelchen Hintersinn fehlte, konnten sie Adrina angesichts ihres mustergültigen Betragens nichts vorwerfen. Kronprinz Cratyn dagegen wunderte sich nicht im Geringsten. Ohne Zweifel bewertete er ihren Verhaltenswandel als unmittelbares Ergebnis seiner Erpressung, und Adrina sollte es recht sein, dass er so dachte, bis es an der Zeit war, ihn mit der Nase auf die Wahrheit zu stoßen.
Adrina kleidete sich nach karischer Sitte, trug das Haar als Zopf, wie man es von verheirateten karischen
Damen verlangte, und hielt sich, wie es der hiesigen Vorstellungswelt entsprach, bei gemeinsamen öffentlichen Auftritten drei Schritte hinter Cratyn. Mit beachtlicher Überzeugungskraft bekannte sie sich zum Xaphista-Glauben und begab sich täglich in der Frühe – schon beim ersten Dämmerlicht – mit Königin Aringard in den kalten Tempel zum Morgengebet. Sie stickte mit ihren Hofdamen und stellte Speisenfolgen mit der in Karien üblichen Bescheidenheit zusammen. Jeden fünften Tag spendete sie den Armen Almosen und begegnete den Adeligen, die am Hof ihres Gemahls verkehrten, mit züchtig gesenkten Augen. Sie verzichtete auf Schminke und verlieh ihren Fingernägeln die abgerundete Kürze, die man in Karien als angebracht erachtete. Kurzum, sie lieferte niemandem irgendeinen Vorwand, ihre Lebensweise zu beanstanden.
Natürlich boten sich vielerlei Wege an, um Cratyn ihre Rache spüren zu lassen. Am leichtesten konnte sie ihn treffen, indem sie die unglückliche Hofdame Virgina quälte.
Mit einem Mal zog Adrina Hofdame Virginas Gesellschaft allem anderen Umgang vor. Sie freundete sich mit der jungen Frau an, eine Entwicklung, die drei Wochen nach der Hochzeit in einem längeren Frauengeplauder gipfelte, das sich hauptsächlich um Cratyn drehte. Ein einziger Nachmittag genügte, um das bedauernswerte Mädchen in Tränen aufgelöst zu sehen, während Adrina sich in der schwärmerischsten Art über den Kronprinzen ausließ, die Zahl der Sprösslinge erwog, die sie vorgeblich haben wollten, voller Überschwang sein glänzendes Aussehen pries und es als
gewaltigen Glücksfall bezeichnete, dass keine andere Frau ihn ergattert hatte. Als Virgina ihre Reden nicht mehr ertragen konnte, bat sie hastig um Entschuldigung und eilte hinaus. Adrina hörte sie im Flur herzzerreißend schluchzen.
Doch Virgina zu peinigen stellte Adrina wenig zufrieden, obwohl es Cratyn in üble Stimmung versetzte. Roh drang er in ihre Gemächer ein, während sie gerade beim Sticken saß, und scheuchte Tamylan von ihrer Seite. Erbitterung rötete seine blässlichen Gesichtszüge.
»Was habt Ihr getan?!«
»Mir ist nicht bewusst, dass ich irgendetwas getan hätte, Eure Hoheit. Könntet Ihr Eure Frage verständlicher ausdrücken?«
»Hofdame Virgina ist betrübt. Was habt Ihr zu ihr gesagt?«
»Wir haben lediglich über
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