Dämenkind 2 - Kind der Götter
des Abgrunds. »Wäre sie in die Tiefe gestürzt, hätte ich augenblicklich eingegriffen. Aber manche Angelegenheiten überlässt man lieber jenen Geschöpfen, die einander gleichen.«
»Es liegt nicht in meiner Verantwortung, sie zu beschützen. Diese Aufgabe ist Euch zugefallen.«
Tiefsinnig nickte Dranymir. »Und gewiss genießt sie meinen Schutz, Brakandaran«, erklärte er. »Aber ich kann sie ausschließlich vor äußeren Gefahren behüten. Vor sich selbst hingegen kann ich sie nicht schützen.«
19
IM FELDLAGER DES HÜTER-HEERS fiel es Mikel von Kirchland schwer, tapfer zu sein. Bei den Hythriern war es ihm ein Leichtes gewesen, dort hatte er Rückhalt bei Jaymes gefunden. Jaymes hielt sich stets tapfer. Jaymes hatte nicht über den Pakt zwischen Karien und Fardohnja geschwatzt, um sich wichtig zu machen. Jaymes war allzeit schweigsam, trotzig und stark geblieben.
Die Hythrier gerieten rasch in Verdruss; sie ließen sich ohne sonderliche Mühe zum Zorn aufreizen, sodass Mikel es als seine heilige Pflicht angesehen hatte, alles zu tun, was er nur konnte, um ihre Kriegsvorbereitungen zu stören. Während der Wochen, die er bei ihnen zubringen musste, hatte er ihnen zahllose Male zu Ehren des Allerhöchsten Schaden zugefügt, nämlich die Krieger verflucht, ihnen in die Suppe gespuckt, sobald sich dazu die Gelegenheit ergab, und war ihnen ganz allgemein zum Ärgernis geworden. Nach dem Fortgang des Kriegsherrn hatte Mikel beträchtlichen Auftrieb verspürt, und mit dem Ausbleiben des hünenhaften blonden Hythriers war sein Mut merklich gewachsen. Die Rauferei mit dem Schmiedegesellen war lediglich die letzte von vielen handgreiflichen Auseinandersetzungen gewesen.
Bei den Hütern dagegen verhielt sich alles anders. Sie schenkten seinen Flüchen und Beleidigungen kein Ge
hör, oder falls sie darauf achteten, veranlassten sie sie nur zu nachsichtigem Lachen. Noch stärker erniedrigt fühlte sich Mikel indessen durch den Umstand, dass der Hüter-Hauptmann, durch den er vor dem Gnadenstoß des Schmiedegesellen bewahrt und in den anderen Teil des Heerlagers mitgenommen worden war, ihn der Obhut einer Frau anvertraut hatte.
Ihr Name lautete Mahina, und man verlangte von ihm, dass er sie mit »Schwester« anredete, obschon sie keine Nonne war und daher diese Anrede gar nicht verdiente. Besonders schlimm jedoch war gewesen, dass die kleine Alte, die ihn zudem an seine Amme erinnerte, kaum dass sie ihn unter ihrer Fuchtel gehabt hatte, kurz an seiner zerfledderten Kleidung geschnuppert und ihm sofort zu baden befohlen hatte. Sie war bei ihm geblieben, während er das Bad genommen hatte, um sich davon zu überzeugen, dass er eine ausreichende Säuberung vollzog. Jeder wusste, dass es gegen die Gebote des Allerhöchsten verstieß und eine Sünde war, sich vollständig zu entkleiden, und ebenso war jedermann bekannt, dass das gänzliche Eintauchen ins Wasser dem Wohlergehen abträgliche Auswirkungen und ungesunde Blähungen zur Folge hatte. Aber sie hatte wie ein Sklavenschinder auf einer fardohnjischen Galeere neben dem Zuber gestanden und ihn gezwungen, buchstäblich jeden Bereich seines Körpers zu waschen.
Dann hatte sie ihm den Gipfel der Demütigung angetan, indem sie ihm die Haare geschnitten und ihn genötigt hatte, ein abgelegtes Hüter-Beinkleid sowie ein Leinenhemd anzuziehen, die viel zu groß waren für seine Gestalt. Sein eigenes Beinkleid und das Wams hatte sie
mit nachgerade feierlicher Gründlichkeit im Herd verbrannt und sich dabei die Nase zugehalten.
Weil Mikels dem Allerhöchsten entsandte Stoßgebete bei den Hythriern jedes Mal Anfeindungen nach sich gezogen hatten, befremdete es ihn, dass seine Gebete bei Mahina überhaupt keine Beachtung fanden und unter den Hüter-Kriegern überwiegend nur gelangweilte Blicke oder bisweilen müdes Gähnen zeitigten. Anscheinend sahen die Hüter in seinen Gebeten keinerlei Veranlassung zum Unmut. Sie scherten sich gar nicht darum. Sein Glaube hatte für sie nicht die mindeste Bedeutung. Sie waren Gottlose, die es als eitle, lächerliche Unsitte erachteten, einen Gott anzubeten. Diese Einsicht schmerzte Mikel fast so grausam wie das Bewusstsein, dass jeder Fehltritt, den er beging, Jaymes einen Finger kosten müsste.
Die Hüter befleißigten sich einer geradezu erschreckenden Zucht und Ordnung, eine Tatsache, die Mikel zunächst eine gehörige Überraschung bereitete. Sie unterstanden dem Oberbefehl eines stattlichen, hart aussehenden Mannes, den man
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