Dämenkind 2 - Kind der Götter
Augenblicke, bis er die Fassung wiedergewann. »Ich weiß es nicht, R'shiel. Mag sein, es war so. Es zählt zu den Vorteilen, eine Bestimmung zu haben, dass sie zeitweise an die Stelle des Gewissens treten kann.«
»Korandellan ist der Ansicht, du bemühtest dich schon dein Leben lang, vor deiner Bestimmung zu fliehen.«
»Plaudert Korandellan häufiger über meine Unzulänglichkeiten?«
»Er führt sie an, um die Fallstricke zu verdeutlichen, vor denen ein halb menschlicher Harshini sich hüten sollte.« Brakandaran schnitt eine verärgerte Miene, aber enthielt sich jeder Anmerkung. »Du also bist der Meinung, es wäre am sinnvollsten, ich kehre zurück zu meinen einstigen Kampfgefährten, ja?«
»Meine Überlegungen sind unerheblich. Auf deinen Willen kommt es an.«
»Ich habe Furcht«, gestand R'shiel.
»Wovor?«, fragte Brakandaran erstaunt. »Etwa vor Tarjanian?«
R'shiel nickte. »Ich fürchte, er könnte sich mit meinem vermeintlichen Tod abgefunden haben. Einmal ange
nommen, er hält sich mit mir nicht mehr auf? Wenn er nun eine neue Liebe errungen hat?«
Brakandaran schnaubte ungeduldig. »Und einmal angenommen, du unterlässt es, derlei törichte Gedanken zu wälzen? Bei den Göttern, R'shiel, Zegarnald hatte Recht, du schrumpfst zu einer Maus. Hab ein wenig Vertrauen, Mädchen. Der Mann liebt dich. Sechs Monate der Ungewissheit hinsichtlich der Frage, ob du lebst oder tot bist, ändern daran nichts. Sollte es allerdings gegenteilig sein, hat er dich ohnehin niemals geliebt, und du darfst dich freuen, seiner ledig zu sein. Doch wie auch immer, erspare uns dein Trübsalblasen, geh hin und verschaff dir Gewissheit, anstatt hier auf einem Berggipfel zu hocken und dein Los zu beklagen.« Die Tatsache, dass Kalianah es Tarjanian Tenragan unwiderruflich versagt hatte, jemals eine andere Frau zu lieben, verschwieg er; davon brauchte R'shiel nichts zu wissen.
Erstaunt über seine offenen Worte, musterte sie ihn mit erhöhter Aufmerksamkeit. Nach Monaten des Umgangs mit den immerwährend freundlichen Harshini war sie auf solche erregten Vorhaltungen nicht gefasst gewesen.
»Sag mir gefälligst nicht vor, was ich tun soll!«
»Warum nicht? Du hast mich danach gefragt. Du legst es darauf an, von mir zu hören, was du tun sollst, damit du dir später, falls es übel ausgeht, nicht die Schuld beimessen musst. Meinen Dank, R'shiel, doch ich habe selbst meine Bürde zu tragen, sodass ich mir von dir nicht noch mehr auf den Buckel packen lassen mag.«
Der Zorn, der in ihren Augen aufflammte, rief bei
Brakandaran Erleichterung hervor: Trotz der abwieglerischen Wirkung, die der längere Aufenthalt im ganz auf Einklang eingestellten Sanktuarium auf sie ausgeübt hatte, und trotz der Gefühlsabstumpfung durch den Magie-Bann war ihr streitbarer Geist noch vorhanden. Es geschah sehr selten, dass Brakandaran den Standpunkt des Kriegsgottes teilte, aber in diesem Fall hatte Zegarnald völlig Recht. R'shiel müsste dahinwelken, bliebe sie noch länger im Sanktuarium. Dieses Mädchen hatte dreihundert feindseligen Rebellen getrotzt, war vergewaltigt, eingekerkert, ja sogar von eben der Frau, die sie während ihrer Kindheit und Jugend für ihre leibliche Mutter gehalten hatte, tödlich verwundet worden. Nichts von alldem hatte ihr das Rückgrat gebrochen. Doch weilte sie noch länger innerhalb der friedseligen Mauern des Sanktuariums, müsste der den Menschen eigentümliche seelische Schutzpanzer, der ihre innersten Kräfte beisammenhielt, allmählich verfallen.
R'shiel schob sich den Dämon vom Schoß, richtete sich auf und strich das Leder der Reitkluft glatt, ehe sie Brakandaran Antwort gab. »Ich bedarf deiner nicht, um zu erkennen, was ich anzufangen habe. Ich gehe, wohin ich will, ich tue, was mir beliebt, und du kannst, wenn du mich fragst, hinab in die tiefste der Sieben Höllen fahren.«
Stürmisch wandte sie sich ab und beschritt den Bergpfad, den sie zuvor in entgegengesetzter Richtung gegangen war; der kleine Dämon watschelte ihr hastig hinterher. Mit leisem Lächeln blickte Brakandaran ihr nach.
»Listig bewerkstelligt, Meister Brakandaran.«
Sobald die dunkle Stimme erklang, drehte sich Brakandaran um; es überraschte ihn nicht, den alten Erzdämon Dranymir vor sich stehen zu sehen. »Ich dachte mir schon, dass Ihr Euch hier irgendwo verbergt. Ihr hättet mir ein wenig behilflich sein können.«
Ein kauziges Schmunzeln in der Miene, kauerte der kleinwüchsige Dämon sich neben Brakandaran an den Rand
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