Dämenkind 2 - Kind der Götter
Frohinia ihr Hochmeister Jengas niedergelegtes Schwert in den Leib gebohrt hatte, verunstaltete nicht einmal die Andeutung einer Narbe R'shiels goldbraune Haut.
»Weißt du, ich fühle das Sanktuarium in jedem Augenblick«, sagte R'shiel leise ins Dunkel, als erahnte sie Tarjanians Gedanken. »Es ist so, als schlösse mich ein unsichtbares Band an es, das ich nicht zerreißen kann. Ich glaube, sogar wenn ich mich im Schneetreiben verirrte, könnte ich den Weg dorthin finden.« Sie seufzte versonnen. »Schon früher in der Zitadelle habe ich es gespürt, aber damals wusste ich natürlich nicht, was ich da gewahrte.« Sie lächelte. »Wahrscheinlich war es für mich ein Segen.«
Tarjanian überlegte, ob sie diese Zurückhaltung wohl beibehalten würde. Lief es darauf hinaus, dass sie ihn ganz allmählich, Brocken um Brocken, in ihr Wissen einweihte, oder durfte er die vollständige Geschichte ihres Aufenthalts in den magischen Hallen der Harshini niemals hören? Erneut schnatterte der kleine Dämon, zog an R'shiels Haar. Tarjanian sah ein, dass er vorerst nichts weiter erfahren sollte.
»Ist das ein Besuch«, fragte er stirnrunzelnd und deu tete auf den Dämon, »mit dem wir künftig regelmäßig rechnen müssen? Machen sich fortan in unserem Bett Dämonen breit?«
»Es könnte schlimmer sein, Tarja. Ein halbes Dutzend, verschmolzen zu einem Kaktus … Oder noch ärger.«
»Noch ärger?«
»Nun ja, es wäre ihnen auch möglich, sich zu einem Drachen zu vereinen.« R'shiel lachte. »Oder einer Schneekatze. Oder einem karischen Ordensritter in voller Rüstung, einem Bienenschwarm, oder zu …«
»Was?«, unterbrach Tarjanian sie unvermittelt. Ihre Worte entzündeten in seinem Geist den Funken eines Einfalls, aber noch vermochte er ihn nicht zu fassen. Er stand erst kurz davor zu begreifen, in welche Richtung sich seine Gedankengänge eigentlich bewegten.
»Ich habe nur gescherzt, Tarja«, sagte R'shiel und sah ihn aufmerksam an. »Ich wende mich an Dranymir. Wenn sie dich dermaßen stören, hält er die Dämonen aus unserem Bett fern.«
»Nein, darum geht es mir nicht. Du hast vom Verschmelzen der Dämonen geredet.«
»Aber so glaube mir doch, ich hatte wirklich keine Absicht, dich …«
»Sie sind also dazu imstande, sich zu jedem beliebigen Gebilde zu vereinigen, ja?«, fragte Tarjanian, den es fast davor bangte – aus Sorge, R'shiel könnte ihn für wahnwitzig halten –, ihr seine Erwägungen anzuvertrauen.
»Vermutlich«, lautete R'shiels nicht gänzlich eindeutige Auskunft.
»Und ebenso zu jeder Gestalt?«
»Von welcher Gestalt sprichst du?«
Tarjanian setzte sich auf und hüllte sich eilends in seine Kluft. »Kleide dich an. Ich möchte mich mit Brakandaran beraten.«
»Was hast du vor, Tarja?«
»Bislang bin ich mir meiner Sache nicht sicher«, gestand er, während er die Schnallen der Stiefel schloss. »Als Erstes müssen wir Brakandaran ausfindig machen. Beeil dich!«
Verdrossen warf R'shiel die Hände in die Höhe, aber sie tat wie geheißen; als sie hinaus in den kühlen Morgen eilten, schnürte sie noch ihr Mieder. Unterdessen war der kleine Dämon – auf Dauer, wie Tarjanian recht erleichtert hoffte – aus ihrer Nähe verschwunden. Die Vorstellung, dass ein Untergebener, wenn er bei Tagesanbruch erwachte, einen aufdringlichen Dämon dabei ertappte, dass er in seinem Gepäck wühlte, behagte ihm ganz und gar nicht.
»Tarja«, rief R'shiel, sobald sie ihn einholte. »Was hast du im Sinn?«
»Ich habe da einen Einfall, muss aber erst in Erfahrung bringen, ob er sich in die Tat umsetzen lässt«, erklärte Tarjanian, während sie durchs Heerlager, das mittlerweile langsam erwachte, zum Kastell liefen. Mit rosigen Fingern streifte das Morgenrot den Himmel über den Bergen.
»Mag sein, ich wüsste dazu etwas zu sagen, wenn du mir deine glänzende Eingebung anvertrautest.«
Tarjanian lächelte ihr zu, als sie am Eingang des Kastells an den Wachen vorübereilten, gab aber keine Antwort. Er öffnete die Pforte zum Saal und stapfte ohne
innezuhalten zu dem großen Kamin am anderen Ende, wo neben der Glutasche eine magere Gestalt schlummerte.
»Heda, Bursche!«, schnauzte er und schreckte den karischen Gefangenen aus dem Schlaf. »Suche Meister Brakandaran und richte ihm aus, dass ich dringend mit ihm reden muss!«
Der Junge sprang auf, nickte hastig und wankte davon. Als er die Pforte erreichte, war er schon in Laufschritt verfallen.
»Du garstiger Kerl. Der Bursche fürchtet sich vor
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