Dämenkind 2 - Kind der Götter
weiblicher Ausstrahlung blieb, jagte ihm ein Schaudern über den Rücken.
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MIKEL ENTLEERTE DEN KÜBEL, mit dem er Wasser aus dem Brunnen im Garten des alten Kastells geschöpft hatte, in einen Bottich und knurrte missmutig, als das eiskalte Nass seine Beinkleider bespritzte. Heute geriet ihm alles zum Schlechten.
Als Erstes war er durch Hauptmann Tenragan roh aus dem Schlaf geschreckt und auf die Suche nach Meister Brakandaran gescheucht worden, und danach hatte ihn Mahina angemault, da er sich zu spät mit dem Tee bei ihr eingestellt hatte. Als Nächstes war er von Mahina mit einer Nachricht auf den Weg zu Hochmeister Jenga geschickt worden, doch die Wächter, die an der Pforte des Kastells Schildwache hielten, hatten ihn zum Spott am Verlassen des Gebäudes gehindert; und schließlich hatte Hochmeister Jenga ihn angeschrien, weil er sich fast von den zahlreichen Rössern hatte niedertrampeln lassen, die in den ausgedehnten Pferchen südlich des Heerlagers grasten.
Nein, der heutige Tag verlief wahrhaftig unglückselig.
Um seinen Verdruss zu vertiefen, hatte sich nach der Rückkehr des hythrischen Barbarenfürsten und der Ankunft seiner beiden unverhofften Begleiter die Stimmung im Hüter-Lager merklich gewandelt. Zum einen lächelte Tenragan neuerdings recht häufig, ein Um
stand, aufgrund dessen er weniger furchterregend wirkte, aber Mikels Abneigung keineswegs minderte. Eher war das Gegenteil der Fall. Wie konnte er es wagen , so selbstzufrieden daherzukommen! Was zum anderen das Paar betraf, das mit Damin Wulfskling eingetroffen war, so hatte Mikel zu seinem Entsetzen jemanden erwähnen hören, es seien Harshini.
Das allerdings mochte Mikel kaum glauben. Hielt man ihn für ein Kind, dass man ihn mit derlei wüsten Märchen einzuschüchtern versuchte? Jeder Mensch wusste, dass die Harshini Ungetüme mit warziger Haut, spitzen Hauern und Sabbermäulern waren, die unartige karische Kinder fraßen, vor allem wenn sie im Glauben an den Allerhöchsten schwankten. Meister Brakandaran jedoch sah aus wie irgendein beliebiger Mann, und die wundervolle Dame, deren Schönheit sogar Virginas Glanz übertraf, konnte unmöglich ein HarshiniUngeheuer sein. Mahina hatte sie als Meisterin R'shiel vorgestellt und ihm geraten, ihr mit gebührlicher Hochachtung zu begegnen, andernfalls hätte er üble Folgen zu tragen. Die Dame hatte ihm freundlich zugelächelt, ihm im Übrigen jedoch keine Beachtung geschenkt. Wäre sie nicht offenkundig Hauptmann Tenragans Liebste gewesen, Mikel hätte ohne weiteres selbst glühende Zuneigung zu ihr fassen können.
Während er vergrämt Verwünschungen vor sich hin murmelte, packte er nun den Kübel, um den Rückweg zum Saal anzutreten, da erregten Kratzgeräusche auf der anderen Seite des Brunnens seine Aufmerksamkeit. Er blickte sich um, weil er sicher sein wollte, dass niemand ihn beobachtete, setzte sodann den Kübel ab und
umrundete vorsichtig die steinerne Umfassung des Brunnens. Hinter dem Brunnen hatte man einen Haufen Schutt aus der morschen Wehrmauer des Kastells aufgetürmt. Als er die Geräusche ein zweites Mal hörte, schlich er auf ihren Ursprungsort zu und überlegte unterdessen, ob eine Katze der Verursacher sein könnte, oder möglicherweise ein Fuchs, der sich ins Kastell verirrt haben mochte. Er hoffte auf eine Katze. Katzen hatte er gern. Vielleicht konnte er sie fangen und als Schoßtier behalten …
Der Umkreis des Brunnens zählte zu den wärmsten Bereichen des Kastells, weil hinter der Wehrmauer die Schmiede lag. Dort mochte mancherlei Getier ein ausgezeichnetes Versteck finden. Angestrengt lauschte Mikel und versuchte trotz der regelmäßigen Hammerschläge aus der Schmiede auch Leiseres zu gewahren. Und wieder hörte er das Scharren, diesmal lauter; es drang aus einem finsteren Loch inmitten der aufgeschichteten alten Mauersteine. Vorsichtig langte Mikel mit der Hand ins Dunkel.
Gleich was da seinen Unterschlupf gefunden hatte, es biss Mikel mit solcher Heftigkeit, dass ihm ein gellender Schmerzensschrei entfuhr. Rückwärts torkelte er um den Brunnenrand, kippte dabei den Kübel um und fiel in eine Pfütze vereisten Schlicks. Wütender Schmerz pochte in seiner stark blutenden Hand, Tränen der Erniedrigung, Scham und Pein rannen ihm über die Wangen. Vom Wehrgang der Mauer scholl das Gelächter der Wachen herab, die sich bei seinem Aufschrei umgedreht hatten. Aus dem Schutt schoss ein graues Etwas hervor und flitzte an Mikel vorüber zum Hauptgebäude.
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