Dämenkind 2 - Kind der Götter
eine Hilfe sein.
Und jetzt war R'shiel wieder da.
Er liebte R'shiel. Dessen war er sich so sicher wie des nächsten Atemzugs, aber er hätte nicht zu erklären vermocht, wieso es ihm damals, nachts in dem alten Weinberg bei Testra, so schlagartig klar geworden war; er erinnerte sich noch daran, dass er sie am liebsten erwürgt hätte, denn sie hatten, so wie überaus oft in jener Zeit, einen Streit gehabt. R'shiel war darauf versessen gewesen, sich an Frohinia zu rächen, und hatte sich nicht darum geschert, wie viele Menschenleben es kostete. Und er entsann sich an seinen Vorsatz, ihr im einen Augenblick Vernunft einprügeln zu wollen, doch schon im folgenden Augenblick hätte er in ihren Armen sterben mögen. Ein wenig hatte ihn diese Anwandlung verstört. Immerhin war er in der Überzeugung aufgewachsen, sie wäre seine Schwester; längst
verspürte er deshalb keinerlei Gewissensbisse mehr, ja, es hatte den Anschein, als schlüge überhaupt kein Gedanke in seinem Gemüt Wurzeln, der seine Liebe zu ihr mindern könnte.
Er streckte die Hand aus und strich ihr eine Strähne des langen roten Haars aus der Stirn – und erstarrte, als sich plötzlich unter ihrer Decke etwas bewegte. Sich dessen sicher, keiner Täuschung erlegen zu sein, riss er die Decke zur Seite, und sofort entfuhr ihm ein entgeisterter Laut. Ruckartig setzte R'shiel sich auf, weil sein Ausruf sie weckte.
»Was, im Namen der Gründerinnen, ist denn das ?«
Verschlafen senkte R'shiel den Blick. Zwischen ihr und Tarjanian lag eingerollt ein kleines, graues Geschöpf, das offenbar die Wärme ihrer Körper suchte. Doch jetzt hatte ihm Tarjanians Stimme wohl einen Schrecken eingejagt. Mit einem unverständlichen Geschnatter sprang es auf und schlang die dünnen grauen Arme fest um R'shiels Hals. Dabei blickte es Tarjanian aus schwarzen Augen, die für den runzligen grauen Kopf viel zu groß zu sein schienen, vorwurfsvoll an.
» Nur ein Dämon.« R'shiel lachte, schob sich das Wesen von der Brust, um atmen zu können.
»Nur ein Dämon?«, wiederholte Tarjanian, dem noch das Herz hämmerte.
R'shiel lachte ein zweites Mal: ein dunkles, kehliges Lachen, das Tarjanian seit langem nicht mehr von ihr gehört hatte. »Er steht in geistiger Verbindung zur Sippe der té Ortyns, und ich war anscheinend die erste té Ortyn, die er zu Gesicht bekommen hat.«
»Und das heißt …? Hält er dich für seine Mutter?«
»Aber nein, Dämonen haben keine Mütter. Sie treten … einfach so ins Leben. Sie kann nicht sprechen und auch sonst wenig ausrichten, bis sie einige Male mit den übrigen Dämonen verschmolzen ist.«
»Sie?«, meinte Tarjanian voller Zweifel, während er das kleine Geschöpf betrachtete, dem sich keinerlei erkennbare Geschlechtsmerkmale ansehen ließen. »Woher weißt du, dass dies eine ›Sie‹ ist?«
»Genau weiß ich es nicht«, gab R'shiel zu und zuckte mit den Schultern. Nochmals musste sie den Dämon, der sich unter ihren Haaren zu verbergen versuchte, mit sanfter Gewalt von ihrer Kehle entfernen. »Eigentlich kennen Dämonen kein Geschlecht, aber irgendwann entscheiden sie sich für eines, und ich habe das Gefühl, dieser hier möchte gern weiblich sein.«
»Das klingt mir ja, als wüsstest du über alles, was Dämonen angeht, bestens Bescheid.« Nichts hätte deutlicher zeigen können, wie R'shiel sich gewandelt hatte und wer sie in Wirklichkeit war, als die Tatsache, in ihrer gemeinsamen Bettstatt einen Dämon vorzufinden.
»Wenn man ständig, wohin man auch geht, von Dämonen umgeben ist, so ist darin eine große Tugend zu entdecken. Du kannst wirklich von Glück reden, hier nur einen anzutreffen. Im Sanktuarium tummeln sie sich in solchen Mengen, als wären es Fliegen.«
Voller Neugierde musterte Tarjanian sie; er hoffte im Stillen, dass sie nähere Einzelheiten erzählte. Seit dem Tag ihrer unvermuteten Rückkehr hatte sie wenig gesprochen. Allerdings hatten sie, musste Tarjanian sich mürrisch eingestehen, kaum Gelegenheit zu ausgiebigen Unterhaltungen erhalten.
Auf alle Fälle hatte sie sich während der Zeitspanne ihrer Abwesenheit stark verändert. Dabei wirkte sie erheblich gefestigt. Vielleicht hatte sie sich endlich mit ihrem wahren Selbst abgefunden. Möglicherweise hatten die Harshini an ihr mehr vollbracht, als lediglich die Wunde zu heilen, die sie fast das Leben gekostet hätte, und allein schon in dieser Hinsicht war ihnen ein über die Maßen vorzügliches Werk gelungen. An der Stelle unter der Brust, wo
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