Dämmerschlaf - Roman
«‹Ihre Söhne kommen auf und preisen sie seli g …› 26 Ja, liebe Freundin, so darf ich es wohl sagen.»
Diese Worte waren Balsam für Pauline. Aus jeder Silbe sprach die Überzeugung: Ihre Welt und die Welt des Bischofs waren im Lot! Warum hatte sie jemals einen anderen geistlichen Beistand als den ihrer eigenen Kirche gesucht? Sie verspürte Gewissensbisse, weil sie sich so sehr auf den Mahatma eingelassen hatte. Doch was wusste der Episkopalbischof von «heiliger Ekstase»? Und hätten noch so viele Gottesdienste je ihren Hüftumfang verringert? Im Grunde war in ihrer sorglosen, rosigen Welt doch Platz für alle Glaubensrichtungen. Und dieser Gedanke führte sie geradewegs zu ihrem zweiten Anliegen, dem Empfang für den Kardinal. Sie beschloss, sich auf der Stelle die Billigung des Bischofs zu sichern. Dann würde aber natürlich auch der Oberrabbiner kommen müssen. Welch eine Lektion in Toleranz und Verständigungsbereitschaft würde sie der zerstrittenen Welt damit erteilen!
Nona, die auf halber Höhe der Tafel saß, betrachtete die Gäste aus einem anderen Blickwinkel. Sie war von der Stippvisite bei ihrem Vater eher niedergeschlagen als gestärkt zurückgekommen. Es gab Tage, an denen Manford sich gern in der Kanzlei «überraschen» ließ, an denen er und seine Tochter über diese heimlichen Besuche witzelten. Aber der heutige Besuch war nicht in dieser Stimmung verlaufen. Sie hatte Manford müde und leicht gereizt angetroffen; bevor er noch Zeit gefunden hatte, ihr von dem Besuch ihrer Mutter zu erzählen, stieg Nona schon die Duftwolke von Paulines kühlem, hygienisch frischem Parfüm in die Nase, und sie fragte sich nervös, was geschehen sein mochte, dass Mrs Manford ihre dicht gedrängten Termine sausen ließ und in die Kanzlei ihres Mannes eilte. Den armen Punkt A hatte sie natürlich auch diesem Notfall geopfert – ohne zu ahnen, wie erleichtert er über diese Verschiebung war. Aber was konnte sie veranlasst haben, Manford so plötzlich aufzusuchen, wo sie sich doch heute Abend beim Dinner sahen?
Das Mädchen hatte keine Fragen gestellt, sie wusste, dass Manford, wie in seinem Beruf üblich, lieber selbst der Fragesteller war. Vor allem suchte sie natürlich seine Hilfe Arthur Wyant betreffend. Sie merkte, dass dies seine Gereiztheit zunächst noch verstärkte. Ob er der Hüter von Wyant sei, wollte er wissen. Aber schon die nächste Frage verkniff er sich: «Warum zum Teufel kann sich nicht sein Sohn um ihn kümmern?» Sie hatte die Frage förmlich auf seinen Lippen gelesen, aber sie schlossen sich darüber, und er erhob sich mit einem Achselzucken aus seinem Sessel. «Armer Teufel. Meinst du, ich kann da irgendwie behilflich sein? Also gut, ich schaue morgen bei ihm vorbei.» Seit der Scheidung hatten er und Wyant sich immer dann getroffen, wenn es um Jims Zukunft ging; Wyant empfand eine Art demütigen Dank für Manfords Großzügigkeit gegenüber seinem Sohn. «Nicht das Geld, Nona – was schert mich Geld! Aber dass er so viel Anteil an ihm nimmt; dass er ihm hilft, sich selbst zu finden, ihn schätzt, zum Henker! Er versteht Jim hundertmal besser, als deine Mutter ihn je verstanden hat…» Auf dieser Grundlage trafen sich die beiden Männer ab und zu in einer Atmosphäre der Toleranz und des Verständnisse s …
Nona erinnerte sich an das Gesicht ihres Vaters, als sie ihn verließ: besorgt und abgespannt, doch in den Augen jenen schelmischen Ausdruck, den er immer hatte, wenn er sie ansah. Jetzt, frisch rasiert, lächelnd, leicht übersättigt, wirkte sein Gesicht, als wäre es aus Stein. «Wie seine eigene Totenmaske», dachte das Mädchen, «als hätte er endgültig mit allem abgeschlossen. Und wie ihn diese zwei Frauen langweilen! Mummy hat Gladys Toy neben ihn gesetzt, als Belohnung – wofür?» Sie lächelte über die Einfalt ihrer Mutter, die sich einbildete, dass er mit Mrs Herman Toy das hatte, was Pauline einen «harmlosen Flirt» nannte. Die offensichtlichen Reize dieser Dame bedeuteten ihm nicht mehr als die der blühenden Bathseba 27 auf dem Gobelin hinter seinem Stuhl, vermutete Nona. Aber Pauline hatte – über ihre gewohnte, sich über alle ergießende Liebenswürdigkeit hinaus – offenbar ihre Gründe, warum sie Manford bei Laune halten wollte. «Wahrscheinlich der Mahatma.» Nona wusste, wie sehr ihre Mutter Scherereien hasste, wie ordinär und unchristlich sie dergleichen fand. Für den März, wenn Manford zum Tarpunfischen 28 fuhr, hatte sie eine Ruhekur geplant,
Weitere Kostenlose Bücher