Dämmerschlaf - Roman
Heiterkeit verschwand aus ihrem Gesicht. «Wie kannst du solchen Unsinn glauben, Dexter? Wenn du Fanny Lindon mehr glaubst als mir…»
«Das ist keine Frage des Glaubens. Lindon hat zweifelsfreie Belege; erst als er die hatte, ist er zu mir gekommen. Es tut mir leid, Pauline, aber du bist getäuscht worden. Dieser Mann muss überführt werden, und die Lindons hatten nun einmal den Mut, zu tun, wovor alle anderen zurückgeschreckt sind.»
Paulines Zornesröte war verblasst. Sie erhob sich und blieb vor ihrem Mann stehen, beunruhigt und verunsichert. Dann zwang sie sich merklich zur Selbstbeherrschung, nahm wieder Platz und verschränkte die Hände über ihrer goldverzierten Handtasche. «Dir wäre es also lieber, wenn der Skandal, falls es zu einem kommt, in der Öffentlichkeit breitgetreten wird? Wer würde dabei gewinnen außer Zeitungsreportern und Leuten, die die gute Gesellschaft in den Dreck ziehen wollen? Und wie wäre dir zumute, wenn Nona als Zeugin aufgerufen würde – oder Lita?»
«Ach Unsinn.» Er verstummte jählings und stand ebenfalls auf. Das Gespräch dauerte bereits länger, als er beabsichtigt hatte, und er fand nicht das rechte Wort, es zu beenden. Sein Kopf fühlte sich plötzlich leer an, kein einziges Argument fiel ihm ein, keine einzige Floskel. «Ich weiß nicht, warum du unbedingt Nona ins Spiel bringen musst, oder Lit a …»
«Nicht ich, sondern du. Du tust es – wenn du diesen Fall übernimmst. Bee und Nona sind seit frühester Kindheit befreundet, und Bee ist ständig bei Lita. Meinst du nicht, die Anwälte des Mahatma machen sich das zunutze, wenn du ihn zum Kampf zwingst? Du wirst vielleicht einwenden, dass du darauf gefasst bist, und ich bewundere deinen Mut, aber ich teile ihn nicht. Bei der Vorstellung, dass unsere Kinder in die Sache verwickelt werden könnten, wird mir ganz schlecht.»
«Soweit ich weiß, hatten weder Nona noch Lita jemals etwas mit diesem Scharlatan und seinem Humbug zu schaffen», erwiderte Manford gereizt.
«Nona hat bei uns im Haus seinen Eurythmie-Unterricht besucht und ist mit mir zu seinen Vorträgen gegangen. Eine Weile hat sie sich sehr dafür interessiert.» Pauline schwieg einen Augenblick. «Von Lita weiß ich es nicht. Ich weiß überhaupt sehr wenig über Litas Leben vor ihrer Ehe.»
«Sie führte vermutlich das gleiche Leben wie alle anderen Freundinnen von Nona.»
«Ja, vermutlich. Kitty Landish könnte uns darüber aufklären. Aber wenn es so war,» – er bemerkte ihre leicht skeptische Betonung – «schließt das keineswegs aus, dass Lita den Mahatma nicht doch gekannt oder an ihn geglaubt hat. Und vergiss nicht, Dexter, dass ich am meisten betroffen wäre! Ich möchte im März in Dawnside eine Ruhekur machen.» Sie gab jenes kleine, neckische Lachen von sich, mit dem sie früher die Unartigkeiten der Kinder bespöttelt hatte.
Manford trommelte mit den Fingern auf seine Schreibunterlage. «Hör zu, wie wär’s, wenn wir das Thema jetzt fallen ließe n …»
Sie blickte auf ihre Armbanduhr. «Wenn du so viel Zeit has t …»
«So viel Zeit?»
Sie antwortete ruhig: «Ich gehe erst, wenn du es mir versprochen hast.»
Manford konnte sich noch an die Zeit erinnern, als dieser bei aller Entschlossenheit so weibliche Ton die Macht besessen hätte, ihn ins Wanken zu bringen. Pauline spielte bei ihren ehelichen Verhandlungen so selten die Trumpfkarten ihrer Gunst, ihrer Tüchtigkeit und Überredungskunst aus, dass er ihr, wenn sie es denn tat, einst schwer hatte widerstehen können. Aber diese Tage waren vorbei. Abgesehen von seiner Bewunderung für ihren Verstand und seiner Wertschätzung ihres Charakters hatte er in letzter Zeit eine unterschwellige, schleichende Langeweile empfunden. Sie war gar zu klug, tüchtig, gleichbleibend scharfsinnig und gelassen. Vielleicht hatte das Wissen um seine beruflich und gesellschaftlich zunehmende Macht insgeheim seine Ehrfurcht vor ihr untergraben, ja ihm überhaupt erst das Gefühl gegeben, dass er ihr ebenbürtig, inzwischen sogar ein klein wenig überlegen war. Er meinte in dieser unerschütterlichen Tüchtigkeit einen gewissen Stumpfsinn zu erkennen. Und mit wachsender beruflicher Autorität verwehrte er sich immer misstrauischer gegen jegliche Einmischung. Zumindest das hätte seine Frau verstehen müssen! Wenn ihr berühmtes Taktgefühl sie im Stich ließ, was blieb dann noch übrig, fragte er sich.
«Hör zu, Pauline, du weißt, dass das sinnlos ist. In beruflichen Fragen kann mir niemand
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