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Dämmerschlaf - Roman

Dämmerschlaf - Roman

Titel: Dämmerschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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gar nicht, wenn sie neben mir von einem Tablett picknicken müssen. Aber sie hat sehr gnädig reagiert.»
    «Das will ich meinen», murmelte Pauline und fügte insgeheim hinzu: «Das sieht Amalasuntha ähnlich, dass sie kein Geld für den Lunch ausgeben wollte.»
    «Ja, sie ist bester Laune. Sagte, du seist sehr nett zu ihr gewesen – wie immer.»
    Pauline äußerte den angemessenen Widerspruch.
    «Sie freut sich furchtbar, dass du ihr versprochen hast, Manford werde Michelangelo unter die Arme greifen, wenn er in New York sein Glück versuchen will.»
    «Versprochen? Nun ja, nicht ganz. Aber ich habe gesagt, Dexter werde tun, was er könne. Es scheint mir die einzige Möglichkeit, Michelangelo unschädlich zu machen.»
    Wyant lehnte sich zurück, und unter seinem Schnurrbart zuckte ein Lächeln. «Ja, dieser junge Mann ist eine Plage. Und allmählich begreife ich auch, warum. Kennst du das Foto von ihm im Badeanzug mit seiner neuesten Liebsten?»
    Pauline tat die Frage mit einer Handbewegung ab. Typisch für Arthur, dass er noch immer nicht begriffen hatte, wie abstoßend sie dergleichen fand.
    «Seit meinem letzten Besuch in den Vatikanischen Museen habe ich keine so wohlproportionierte Statue mehr gesehen. Ein richtiger Apoll. Komisch, dass diese Wyants aus Albany imstande sind, eine heidnische Gottheit hervorzubringen. Gerade habe ich Manford das Bild gezeigt und den Kommentar der zärtlichen Mutter an ihn weitergegeben.»
    Pauline blickte rasch hoch. «Dexter war auch hier?»
    «Ja, er hat versucht, mir ebenfalls unter die Arme zu greifen.» Er warf einen Blick auf seinen Verband. «Das war um einiges schwieriger. Ich musste zuerst mal mein Bein auf den Boden bekommen. Aber Manford ist furchtbar nett, wirklich reizend. Er möchte, dass ich mit Jim verreise, hinunter auf seine Insel, und mich dort vierzehn Tage lang richtig von der Sonne verwöhnen lasse. Er meint, wenn er die richtigen Hebel in Bewegung setzt, könnte er Jim in der Zeit vor Ostern für ein Weilchen loseisen. Das klingt verlocken d …»
    Pauline lächelte; es gefiel ihr, wenn die beiden Männer in diesem Ton voneinander sprachen, und es war wirklich liebenswürdig von Dexter, dem armen Arthur gastfreundlich seine Insel im Süden anzubiete n … Wie einfach das Leben sein könnte, wenn nur alle Menschen freundlich und unkompliziert wären!
    «Aber nun zu Michelangelo: Ich wollte dir gerade erzählen, was Amalasuntha Sorge bereitet. Wenn sie sagt, Michelangelo wolle in Amerika ins Geschäftsleben einsteigen, meint sie damit natürlich, dass er eine reiche Erbin heiraten soll.»
    «Ja, natürlich. Und das macht er bestimmt.»
    «Genau. Sie hat auch schon ein Auge auf jemanden geworfen. Errätst du es nicht? Nona!»
    Paulines Sinn für Humor war nicht unerschöpflich, aber diese Vorstellung lockerte ihre angespannten Nerven dann doch, und sie lachte. «Der arme Michelangelo!»
    «Ich dachte mir schon, dass dich das nicht beunruhigen würde. Amalasuntha plagt allerdings die Befürchtung, dass er sich nicht befreien kan n …»
    «Befreien?»
    «Von Lita. Ihre Theorie lautet, dass sich Lita wie wahnsinnig in Michelangelo verlieben wird, sobald sie ihn zu Gesicht bekommt, und dass sie, wenn die beiden erst einmal miteinander getanzt haben, an ihn verloren ist. Aus diesem Grund hält Amalasuntha es für womöglich billiger – obwohl sie dir das nicht zu sagen wagt –, Michelangelos Schulden zu bezahlen, als ihn zu importieren. Sie sagt, nun, wo sie die Familie gewarnt habe, liege die Entscheidung bei uns.»
    Ihrer beider Lachen vermischte sich, vielleicht zum ersten Mal seit ihrer Verbindung in jungen Jahren. In der Regel waren ihre Begegnungen nicht von Unbeschwertheit gekennzeichnet.
    Aber Pauline vergaß das Lachen schnell über den Grant Lindons. Bei diesem Namen leuchteten Wyants Augen auf; es war, als hätte sie einem appetitlosen Genesenden einen Leckerbissen vorgesetzt.
    «Gerade du müsstest mir doch alles darüber sagen können – oder nein, natürlich nicht, wenn Manford den Fall übernimmt. Aber das macht nichts, denn mittlerweile ist die Angelegenheit in aller Munde. Hast du heute Morgen den ‹Looker-on› gesehen – mit den Fotos? Hie r … w o …» Nie fand er unter den Illustrierten, die sich neben ihm stapelten, was er suchte, und warf nun hilflos die Ausgaben des «Prattler», des «Listener» und andere Magazine durcheinander. Wie dieses kleine Anzeichen von Unfähigkeit sie an alte Zeiten erinnerte, als seine ewige Unordnung

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