Dämmerschlaf - Roman
und seine sture Eigenart, immer alles anzufassen, ihr so auf die Nerven gingen!
«Fotos?», japste sie.
«Allerdings. Erst mal der Nigger selbst in Turban und rituellen Gewändern, und dann ein Haufen Nackte, die in einem Patio herumhopsen. Es sieht aus wie ein Hotel in Palm Beach. Fanny Lindon ist ganz außer sich, weil sie Bee auf dem Bild erkannt hat. Sie sagt, sie bringt den Mann ins Gefängnis, und wenn es sie den letzten Penny kostet. Hach, da ist es ja endlich!»
Pauline fuhr zurück. Nahm denn das nie ein Ende, dass man ihr widerliche Fotos zu zeigen versuchte? Sie fragte scharf: «Hat Fanny Lindon dich etwa auch besucht?»
«Warum nicht? Sie war den ganzen Vormittag hier. Sie hat Amalasuntha alles erzählt.»
Mit größter Anstrengung unterdrückte Pauline den in ihr aufsteigenden Ärger. «Wie idiotisch! Jetzt wird es tatsächlich in alle Welt hinausposaunt!» Sie sah Fanny und Amalasuntha vor sich, wie sie mit hämischer Freude die Fotos ihrer schmachbedeckten Nachkommen austauschten. Es war gar zu anstößi g … und die alte New Yorkerin war genauso schamlos wie die verderbte Ausländerin.
«Ich wusste nicht, dass Fanny vor mir hier war. Ich komme soeben von ihr. Ich habe versucht, es ihr auszureden, wollte sie überzeugen, die ganze Geschichte zu vertuschen, bevor es zu spät ist. Ich vermute, du hast ihr den gleichen Rat gegeben?»
Wyants Gesicht verdüsterte sich. Er sah seine frühere Frau bestürzt an, und sie merkte, dass er vor lauter gierigem Entzücken über die pikanten Einzelheiten alles Gespür für die Unschicklichkeit und Torheit der Angelegenheit verloren hatte. «Ich weiß nich t … ich dachte, es sei bereits zu spät und Manford habe sie gedrängt, etwas zu unternehmen.»
Pauline machte eine leicht ungehaltene Handbewegung. «Dexter, natürlich! Wenn er einen ‹Fall› wittert! Ich glaube, da sind alle Anwälte gleich. Jedenfalls kann ich ihm nicht begreiflich mache n …» Sie brach ab, wurde sich plötzlich bewusst, dass die Rollen vertauscht waren und sie zum ersten Mal ihren zweiten Mann vor ihrem ersten herabsetzte. «Im Übrigen», fuhr sie hastig fort, «kann es Dexter gleichgültig sein, wenn die Lindons beschließen, öffentlich Schande über ihr Kind zu bringen. Es sind nicht seine Verwandten, Bee ist nicht die Tochter seines Cousins. Aber dass uns beiden, dir und mir, bei der Sache nicht wohl ist, dagegen können wir doch nichts machen? Bee, Nona und Jim sind zusammen aufgewachsen. Du musst mir helfen, diesen Skandal zu verhindern! Du musst sofort Grant Lindon kommen lassen. Auf dich hört er bestimm t … du hast immer großen Einfluss auf Grant gehabt.»
Sie merkte, dass sie in ihrer Not die gleichen Argumente vorbrachte, die sie schon Manford gegenüber geäußert hatte, und dass sie diesmal mehr Wirkung zeitigten. Wyant richtete sich steif auf, ein schwaches Lächeln der Genugtuung auf den Lippen. Unwillkürlich fuhr er sich mit seiner dünnen, gichtigen Hand durchs Haar und versuchte einen kurzen Blick in den Spiegel zu werfen.
«Meinst du wirklich? Natürlich, als Junge hielt mich Grant für einen tollen Kerl. Aber jetz t … Wer erinnert sich schon noch an mich in meiner schäbigen Ecke?»
Pauline erhob sich, ihr klares, frostiges Lächeln auf dem Gesicht. «Anscheinend sehr viele unter uns. Du behauptest ja, ich sei die dritte Dame, die dich heute besucht! Du weißt sehr wohl, Arthu r …», den Namen schob sie auf der äußersten Spitze ihres Lächelns heiter dazwischen, «dass die Meinung von Menschen wie dir in New York noch immer zählt, selbst heutzutage. Stell dir nur vor, was deine Mutter empfunden hätte bei dem Gedanken, dass Fanny und Bee in den Schlagzeilen stehen und Reporter und Fotografen sich vor ihrer Tür drängeln! Ich bin froh, dass sie das nicht mehr erleben musste.»
Sie wusste, dass Wyants vordergründige Ironie bei jedem gefühlsbetonten Appell dahinschmolz, vor allem wenn er im Namen seiner Mutter an ihn gerichtet wurde.
Er blinzelte beunruhigt und warf den «Looker-on» beiseite. «Du hast vollkommen recht, da sind ein Haufen Narren am Werk. Es gibt keine Werte mehr. Ich tue, was ich kann; ich werde Grant anrufen, dass er heute Abend auf dem Heimweg bei mir vorbeischau t … Aber hör mal, Pauline, was ist denn nun Wahres dran? Wenn ich ihm ins Gewissen reden soll, muss ich das wissen.» Wieder begannen seine Augen vor Neugier zu leuchten.
«Wahres? Es ist nichts Wahres dran – es ist eine ganz dumme Zeitungsente! Schau, ich
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