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Dämmerschlaf - Roman

Dämmerschlaf - Roman

Titel: Dämmerschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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gekommen. Er hatte diesen zügigen Marsch durch den Park gebraucht, um zu erkennen, warum.
    Es lag an Mrs Landishs Einstellung, ihrer albernen, konfusen Verantwortungslosigkeit, einer ältlichen Parodie auf Litas jugendliche Sorglosigkeit. Mrs Landish hatte auf Manfords strenges Verhör die ausweichende Antwort gegeben, er solle wegen Daten, Personen und statistischer Einzelheiten nicht immer zu ihr kommen, Fakten bedeuteten ihr nichts, für sie zähle einzig Inspiration, Genie, das göttliche Feuer oder wie er es nennen wolle. Vielleicht habe sie Fehler gemacht, aber sie habe ihr Leben lang alles der Huldigung des Genies geopfert. Immer und überall strebe sie danach, und weil sie an Lita schon früh eine geniale Ader entdeckt habe, sei sie dem Kind so zärtlich zugetan gewesen. Ob Manford es nicht auch spüre? Natürlich habe sie, Mrs Landish, eine andere Ehe für ihre Nichte erträum t … Oh, Manford dürfe sie nicht missverstehen! Jim sei ideal – allzu ideal. Das sei ja das Problem. Bestimmt verstehe Manford, was dieses «allzu» bedeute. Solch absolute Zuverlässigkeit, solch restlose Hingabe sei für ein künstlerisches Temperament manchmal anstrengender als Szenen und Untreue. Und Lita sei zuallererst Künstlerin, geboren, um in der Welt der Kunst zu leben, mit ganz anderen Werten – sozusagen in einer vierdimensionalen Welt. Es sei nicht gerecht, sie in ihrer gegenwärtigen Umgebung zu beurteilen, so ideal diese in gewisser Weise sei – aber ihr entspreche sie nun einmal leider nicht. Beharrlich ging Mrs Landish von der Annahme aus, Manford würde sie vollkommen verstehen. «Wenn man es Jim nur ebenso begreiflich machen könnte wie Ihnen! Wenn er nur einsähe, dass man an diese seltenen Geschöpfe keinen normalen Maßstab anlegen dar f … Hat Ihnen das Kind eigentlich erzählt, was Klawhammer ihr für einen einzigen Film geboten hat, ohne sie überhaupt tanzen gesehen zu haben, nur auf Jack Staleys und Ardwins Empfehlung hin?»
    Aha, das war es also! Nun war die Wahrheit heraus. Mrs Landish, immer verschuldet und immer voller verrückter Pläne, wie sie noch mehr Geld verschleudern konnte, hatte in der Begabung ihrer Nichte eine Goldgrube entdeckt. Statt dass die Scheidung sie schreckte, weckte sie in ihr freudige Erregung. Manford lächelte bei dem Gedanken, wie ungerührt sie Paulines Drohung ließe, dem jungen Paar den Geldhahn zuzudrehen. Pauline vergaß manchmal, dass ihr Wort selbst in der eigenen Familie nicht immer uneingeschränkt galt. Mit Hollywood konnte sie jedenfalls finanziell nicht mithalten, und Mrs Landishs Blicke waren auf Hollywood gerichtet.
    «Aber Sie wirken ja entrüstet, lieber Mr Manford! Regelrecht entrüstet! Macht Ihnen der Film wirklich Angst? Wie komisch!» Mrs Landish zog ihre wuchernden Augenbrauen zusammen und versuchte offenbar, sich die innere Düsternis eines solchen Zustands auszumalen. «Aber Sie wissen doch, dass gerade die intelligenten Leute zum Film gehen? Die Marchesa di San Fedele hat mir neulich eine Fotografie von ihrem schönen Sohn gezeigt – in der Badehose der reinste Apoll – und erzählt, Klawhammer habe sie, als er das Bild sah, gebeten, ihrem Sohn zu telegrafieren, er solle zu Probeaufnahmen nach Hollywood kommen, alle Unkosten würden vergütet. Anscheinend erkennt man dort harmonisch rhythmisierte Menschen fast immer auf den ersten Blick. Komisch, nicht wahr, wenn aus Michelangelo und Lita der zukünftige Valentino 45 und di e …»
    An das restliche Geschwätz erinnerte er sich nicht mehr. Er wusste nur noch, dass er plötzlich sinnlos aufbrausend geschrien hatte: «Meine Frau und ich werden alles tun, um eine Scheidung zu verhindern», und dass er seine verdutzte Gastgeberin mit einer Drohung verlassen hatte, um deren Untauglichkeit er genauso wusste wie sie.
    Das also war die Atmosphäre, in der Lita aufgewachsen war, das waren die Götter von Viking Court! Manford hatte getobt statt Mitleid geäußert, war wütend gewesen statt nachsichtig, hatte eine Katastrophe für Lita und Jim riskiert, statt ruhig die Lage in den Griff zu bekommen. Bei der Vorstellung, dass die künftigen Filmstars Lita Wyant und Michelangelo Seite an Seite auf jeder Reklametafel von Maine bis Kalifornien zur Schau gestellt wurden, war ihm die Galle übergelaufen. Durch einen Nebel von Wut hatte er die riesigen Bilder gesehen und sich die abscheulichen Schlagzeilen ausgemalt. Und niemand würde etwas unternehmen, alle würden nur schauen und lachen! Bei diesem Gedanken

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