Dämmerschlaf - Roman
empfand er den vernichtenden Zorn eines Mannes, dessen geheime Sehnsüchte sich gegen die Strömungen seiner Zeit behaupten müssen. Nun, sie würden es schon erleben, ganz einfach! Er würde es ihnen schon zeigen!
Der Entschluss zu handeln entlastete seine strapazierte Fantasie. Wieder einmal sah er sich am Schreibtisch sitzen, von seinen hilflosen Gesprächspartnern durch eine Barriere beruflicher Autorität getrennt, und wie von selbst sortierten sich in seinem Kopf eindrucksvolle Worte und treffende Argumente. Schließlich war er das Oberhaupt seiner Familie – und gewissermaßen auch das der Familie Wyant.
16
Paulines Nervosität hatte sich allmählich gelegt. Was die Rivingtons betraf – nun, am Ende war es gar keine so schlechte Idee, ihnen vorzuführen, dass man bei einem Mann von Manfords Bedeutung Glück haben musste, wenn man seiner habhaft werden wollte, und aus der Not eine Tugend machen sollte, wenn er einen dann doch versetzte. «Berufliche Verpflichtun g … o ja, gänzlich unerwarte t … außerordentlich wichti g … so schrecklich leid, aber Sie wissen ja, ein Anwalt ist nicht Herr seiner Zei t …» Ganz amüsant, so etwas zu einer nervösen Mrs Rivington zu sagen, die daraufhin stammelte: «Oh, aber könnte er nich t …? Wir würden auch warte n … wir essen um halb zeh n …» Amüsant auch, darauf zu erwidern: «Leider muss er sich den ganzen Abend frei halten», und dann aufzulegen und sich in aller Ruhe zurückzulehnen, während Mrs Rivington (Pauline sah sie vor sich!) in Morgenrock und Haarklemmen hinunterhastete und die Tischordnung umstellte, auf die sie so viele Gedanken verwendet hatte, als sollte dort der Hochadel Platz nehmen.
Angesichts der Tatsache, dass Manford mit ihr allein sein wollte, fiel Pauline sogar eine solche Absage leicht. Wie viele Jahre waren vergangen, seit er diesen Wunsch geäußert hatte? Und verdankte sie seine späte Rückkehr nun dem Mahatma und einem reduzierten Hüftumfang oder dem Inspirationsheiler und ihrem wiedergefundenen Optimismus? Wenn man als Frau nur immer wüsste, was einem das Herz eines Mannes geneigt machte und was es abschreckte! Wäre es an Pauline gewesen, das Leben zu systematisieren, hätte sie mit dem menschlichen Herzen angefangen und es in Serie hergestellt, ein jedes gleich, und nicht solche unsystematischen, wunderlichen, dilettantischen Gebilde wachsen lassen, auf die kein Verlass war und die man nicht mehr in Gang brachte, wenn etwas schiefging.
Ein Hauch Rouge? Vielleicht hatte ihr Hausmädchen recht. Sie sah wirklich ziemlich blass und verhärmt aus. Mrs Herman Toy trug es ja mit der Kelle auf, offenbar gefiel das den Männer n … Pauline verteilte eine Spur rosiger Frische auf ihren Wangen und fuhr sich geschickt mit den Fingern durch das hübsch gewellte Haar, dabei fragte sie sich erneut, ob es nicht besser wäre, sich einen Bubikopf schneiden zu lassen. Dann das malvenfarbene Kaminkleid, die chinesischen Amethyste und die Silbersandalen, die einen so schlanken Fuß machten. Mit einem wohlgefälligen Seufzen sah sie an sich hinab. Das Abendessen sollte im Boudoir serviert werden.
Manford kam sehr spät; es wurde zehn Uhr, bis Kaffee und Likör auf dem Beistelltischchen neben dem Kamin standen und der kleine Esstisch geräuschlos weggeräumt wurde. Das Feuer brannte einladend, und mit einem Laut, der nach zufriedenem Gemurmel klang, sank er in den Sessel, den seine Frau ihm hinschob.
«So ein Ta g …», sagte er und fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als wischte er einen Wirrwarr von juristischen Problemen beiseite.
«Du arbeitest zu viel, Dexter, wirklich. Ich weiß, wie wunderbar jung du für dein Alter bist, aber dennoc h …» Sie brach ab, denn sie spürte dunkel, dass ihm dieser Hinweis auf sein Alter trotz der schmeichelhaften Eröffnung nicht besonders willkommen war.
«Das hat nichts mit Alter zu tun», knurrte er. «Jeder, der überhaupt etwas arbeitet, arbeitet zu viel.» (Wollte er damit andeuten, dass sie nichts arbeitete?)
«Nervöse Anspannun g …», begann sie und fragte sich erneut, ob dies vielleicht der rechte Augenblick war, ein Wort über Alvah Loft einfließen zu lassen. Obwohl Manford mit ihr hatte zusammensein wollen, verspürte er offenbar nicht den Wunsch, ihr zuzuhören. Das war einzig ihre Schuld, glaubte sie. Wenn sie es nur verstanden hätte, die heimlichen Schauder anzudeuten, die sie durchrieselten! Es gab Frauen, nicht halb so klug und taktvoll wie sie und weder jünger noch
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