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Dämmerschlaf - Roman

Dämmerschlaf - Roman

Titel: Dämmerschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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oberflächlicher Betrachter wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass das einfache Leben in Cedarledge seine lächelnde Organisatorin mehr Mühe kostete als eine ganze New Yorker Ballsaison.
    Auch das trug zu Paulines Befriedigung bei. Auf dem Weg durch die Halle, vorbei an den gesammelten Golf- und Tennisschlägern, den Automänteln, Capes und Schals auf dem langen Tisch und an den schlammbespritzten Terriern, die sich auf den Chintzkissen der Sitzbänke gemütlich zusammengerollt hatten, gelang es ihr sogar, sich einzureden, dass wirklich alles so primitiv und improvisiert war, wie es aussah, und dass sie die Leidenschaft ihres Mannes, in Tweed und Homespun 49 durch den Schlamm zu stapfen, seit jeher teilte.
    «Eines Tages», dachte sie, «geben wir New York endgültig auf, leben wie ein altmodisches Ehepaar das ganze Jahr hier, und Dexter kann Landwirtschaft betreiben, während ich mich um das Geflügel und die Molkerei kümmere.» Augenblicklich entwarf ihre pragmatische Fantasie eine hochmoderne Hühnerfarm im großen Stil und kalkulierte, welche Einnahmen eine wirklich systematische Herstellung von Butter und Käse erzielen würde. Stubenküken, das wusste sie, wurden immer begehrter, und in Restaurants und Hotels herrschte große Nachfrage nach diesen kleinen, fremdländisch aussehenden Rahmkäsen in Silberpapier.
    «Die Marchesa hat wieder angerufen, Madam», erinnerte Powder sie am zweiten Morgen beim Frühstück. In Cedarledge kamen alle zum Frühstück nach unten, das gehörte zum einfachen Leben. Es endete allerdings meist damit, dass Pauline allein hinter der Teemaschine thronte, denn Mann und Tochter genossen in den Ferien das Unpünktlichsein in vollen Zügen, und dass Lita nicht imstande war, vor dem Lunch zu erscheinen, wurde stillschweigend als selbstverständlich betrachtet.
    «Die Marchesa?», fragte Pauline gereizt. Sie verzehrte gerade genüsslich ein soeben erst gelegtes Ei und ganz frische Butter. Wieso war man eigentlich nie völlig sicher vor Störenfrieden und Scherereien? Sie hatten für Amalasuntha alles getan, was sie konnten, und mussten nun feststellen, dass Dankbarkeit lästigere Folgen haben konnte als Gleichgültigkeit.
    «Die Marchesa möchte mit Ihnen über das Datum für den Empfang des Kardinals sprechen.»
    Ah, dann stand das also fest – es war wirklich ausgemacht! Leidenschaftliche Befriedigung fegte Paulines Desinteresse hinweg, und ihr Gerechtigkeitssinn zwang sie zuzugeben, dass Amalasuntha sich mit einem solchen Dienst einen Sonntag in Cedarledge verdient hatte. «Sie wird sich zu Tode langweilen, wenn sie hier zwei Tage allein mit der Familie verbringen muss; aber sie möchte ja unbedingt eingeladen werden, und im Nachhinein wird sie sich einbilden, es habe ein riesiges, mehrtägiges Fest stattgefunden», überlegte Pauline.
    «Gut, Powder. Teilen Sie der Marchesa bitte telefonisch mit, dass ich sie am nächsten Samstag erwarte.»
    Das ließ ihnen wenigstens eine Woche Zeit. Nach sechs Tagen allein mit seinen Frauen hatte vielleicht nicht einmal mehr Dexter etwas gegen ein wenig Gesellschaft einzuwenden, und dann konnte Pauline die Marchesa als Köder benutzen und die Nachbarn zu einem Dinner zusammentrommeln. Die Toys, fiel ihr plötzlich ein, waren über Ostern im «Country Club» in Greenwich. Sie lächelte bei dem Gedanken, dass vielleicht dies Dexter bewogen hatte, Kalifornien gegen Cedarledge einzutauschen. Sie hatte keine Angst mehr vor Mrs Toy, womöglich war ihre Nähe sogar von Nutzen. Pauline vermochte nie so recht zu glauben – zumindest nicht länger als ein paar Stunden am Stück –, dass Menschen auf dem Land ohne gesellschaftliche Tröstungen glücklich sein konnten, und sechs Tage Ruhe nahmen vor ihren Augen das Ausmaß prähistorischer Erdzeitalter an. Wann hatte sie jemals einen solchen Zeitraum zu ihrer freien Verfügung vor sich gehabt? In dem Wissen, dass man ihn jederzeit verkürzen konnte, seufzte sie zufrieden und beschloss, den Vormittag dem Studium eines neuen Kühlsystems zu widmen, für das seit Kurzem geworben wurde.
    Dexter hatte die versprochene Besichtigungstour mit ihr noch nicht unternommen, aber das war kaum verwunderlich. Am ersten Morgen hatte er lange geschlafen und dann auf der Terrasse im milden Sonnenschein gelegen. Am Nachmittag waren sie alle zu einer Runde Golf nach Greystock gefahren, und als Pauline heute zum Frühstück herunterkam, erfuhr sie zu ihrer Überraschung, dass ihr Mann, Nona und Lita schon zu einem frühen

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