Dämmerschlaf - Roman
bekam Hunger; also machte er sich wieder auf den Weg.
Kurz darauf merkte er, dass es halb zwölf war – Zeit, nach Hause zu gehen. Nach Hause, zum Lunch. Zu Pauline. Und Nona. Und Lita. O Gott, nein, noch nich t … Er trabte weiter, langsam und verdrossen, und beschloss, irgendwo unterwegs einen Happen zu sich zu nehmen.
An einer Wegbiegung erblickte er die Gestalt einer Frau, die etwas oberhalb über einen grünen Abhang schlenderte. Kräftig und aufrecht, bekleidet mit einem gepflegten Golfrock, kam sie ihm von oben entgegen und schwang einen Schläger in der Hand. Na, so was, er befand sich doch tatsächlich am Rand des Golfplatzes von Greystock! Die Frau war allein, ohne Begleiter oder Caddies, machte eine Proberunde oder vielleicht einfach einen Spaziergang, so wie er, und sog die berauschende Luft ei n …
«Hallo!», rief sie, und er merkte, dass er auf Gladys Toy zuging.
War diese energische, aufrechte Frau im nussbraunen Pullover und Faltenrock die schmuckbehangene, üppige Schönheit, die er von so vielen langweiligen Dinnereinladungen kannte? Etwas von seinem alten Interesse – eine kurzlebige Laune von ein, zwei Wochen – lebte wieder in ihm auf, als sie mit sicherem und dennoch beschwingtem Schritt in breiten, bequemen Schuhen auf ihn zumarschierte.
«Hallo!», antwortete er. «Wusste gar nicht, dass du hier bist.»
«War ich bisher auch nicht. Ich bin erst gestern Abend gekommen. Ist das nicht herrlich?» Selbst ihre träg tröpfelnde Stimme geriet in Schwung und klang lebhafter. Eine wohlgestalte Frau, eine Frau mit Kurven und Fülle – das gefiel ihm ausgesprochen gut, erst recht nach diesen halb nackten Skeletten, zwischen denen er am Abend zuvor gespeist hatte. Mrs Toy war groß genug, um ihre Pfunde tragen zu können, und schien sich ihrer auch nicht zu schämen.
«Herrlich? Ja, das bist du!», sagte er.
«Was, ich?»
«Wieso, was meintest du denn?»
«Sei nicht albern! Wie bist du hierhergekommen?»
«Zu Fuß.»
«Meine Güte! Von Cedarledge? Du musst ja völlig erledigt sein.»
«Das glaubst du doch selbst nicht. Ich bin eigens herüberspaziert, um mit dir zu Mittag zu essen.»
«Du hast gerade gesagt, du wusstest nicht, dass ich da bin.»
«Du darfst nicht alles glauben, was ich sage.»
«Gut. Dann glaube ich nicht, dass du herüberspaziert bist, um mit mir zu Mittag zu essen.»
«Glaubst du mir denn, wenn ich dir sage, dass du furchtbar schön bist?»
«Ja!», antwortete sie herausfordernd.
«Und dass ich dich küssen möchte?»
Sie lächelte mit dem Blick eines erschöpften Schwimmers, und er merkte, dass ihr dürftiges Repertoire an Schlagfertigkeit aufgebraucht war. «Herman kommt heute Abend», sagte sie.
«Dann lass uns den Tag nutzen.»
«Aber ich habe ein paar Leute zum Lunch in den ‹Club› eingeladen.»
«Dann sagst du ihnen ab und ziehst mit mir los, und wir essen irgendwo zu Mittag.»
«Oh, wirklich – soll ich?» Sie lachte kurzatmig, und er sah, wie sich ihre Brust hob.
Er zog sie an sich und drückte einen Kuss mitten in ihr Lachen. «Kommst du jetzt mit?»
Sie war ein üppiger Armvoll, und er musste daran denken, wie herrlich er in seiner Jugend rundliche, rosige Frauen gefunden hatte, ehe Geld und Mode ihnen diese gekünstelten Normen aufzwang.
Als er Cedarledge wieder betrat, fiel das Licht des kühlen Frühlingssonnenuntergangs schräg durch die Bibliotheksfenster auf den Teetisch, an dem seine Frau und Nona saßen. Von Lita war nichts zu sehen; Manford vernahm teils gleichgültig, teils belustigt, dass sie angeblich soeben aufstand. Sein Gefühl für Lita hatte sich zu einer väterlichen Langmut beruhigt; er fand das Beiwort jetzt nicht mehr unpassend. Zugleich verspürte er unter der oberflächlichen Freundlichkeit, die er für sie und den Rest der Welt empfand, eine elementare Gleichgültigkeit gegenüber allen Dingen, ausgenommen sein eigenes Wohlergehen und Behagen. Das war das heilsame Ergebnis der frischen Luft und wiedergewonnenen Muße. Wie unsinnig, sich wegen irgendetwas so nervös machen zu lassen – seien es Finanzen, berufliche Erfolge oder Frauen! Vor allem Frauen. Wenn er auf die letzten Wochen zurückblickte, wurde ihm klar, wie heillos erschöpft er gewesen sein musste, dass er seine eigenen Gefühle so übersteigert wahrgenommen hatte. Nach drei Tagen in Cedarledge hatte sich heitere Gelassenheit wie ein Segen auf ihn herabgesenkt. Gladys Toys Wangen waren weich wie Nektarinen, und das grelle Vormittagslicht hatte ihm
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