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Dämmerschlaf - Roman

Dämmerschlaf - Roman

Titel: Dämmerschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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angeboten, die Dame für eine Weile zu übernehmen und ihm eine Chance zu geben. Von Mann zu Mann, Wyant, ich finde, wir beide sollten zusammenhalten und diese Sache durchziehen. Wenn wir das schaffen, kommt garantiert wieder alles in Ordnung. Tut Ihnen auch gut, so mit Ihrem Sohn wegzufahren, in einem angenehmen Klima ein bisschen am Strand zu faulenzen und zuzusehen, wie Jim sich erholt. Ich wollte, ich könnte auch kommen – und es ist noch nicht gesagt, dass ich nicht runtersause, nur für ein Wochenende, wenn ich es fertigbringe, mich von der Familie loszureißen. Man kann auf der Insel erstklassig fischen – und ich weiß, Sie waren immer ein großer Angler. Was Lita angeht, so ist sie bei Pauline und Nona gut aufgehoben.»
    Der Trick funktionierte.
    Aber warum es als Trick bezeichnen, wenn doch jedes Wort ernst gemeint war? Jim war tatsächlich todmüde, er brauchte tatsächlich Abwechslung, trotzdem ließ er sich nur unter dem Vorwand fortlocken, dass er seinen Vater in den Süden begleiten musste. Seltsam, dass im hintersten Winkel des Gewissens eine Ansammlung von Wahrheiten plötzlich wie ein Lügengespinst aussehen konnte ! … Herr im Himmel, was für ein krankhafter Blödsinn! Manford war moralisch verpflichtet, aus seinen Worten Wahrheit werden zu lassen, und damit fing er gerade an. Und nun Schluss! Da war schon Cedarledge. Die Fahrt hatte keine Minute gedauer t …
    Wie hübsch der Landsitz im Dämmerlicht aussah, ein Dunstschleier aus zarten Farben verschmolz mit den Schatten, schon schmückten orangefarbene Fensterscheiben die lange, dunkle Fassade wie Edelsteine!
    «Es wird dir sicher gefallen, nicht wahr, Lita?» Neben ihm ein zufriedenes Schnurren.
    Wenn nur Pauline so viel Verstand besäße, ihn in Ruhe zu lassen, wenn sie ihn das alles auf Litas träge, sprachlose Weise genießen ließe und ihn nicht mit Statistiken und Großtaten, Ausgaben und Erfolgen überhäufen würde. Er hatte ihre ständigen Bestandsaufnahmen, die Rechnungen und Zinserträge so satt. Natürlich bewunderte er das alles – er bewunderte Pauline mehr denn je. Aber zugleich sehnte er sich danach, in der lieblichen Frische des Frühlings zu versinken wie ein Mann, der an die Brust einer Frau sinkt und nur ihre ruhigen Hände in seinem Haar fühlen will.
    «Da ist der Hartriegel! Schau! Du hast ihn hier sicher noch nie blühen sehen, oder? Er zählt zu unseren Sehenswürdigkeiten.» Von der Wirkung des Hartriegels hatte er sich viel versprochen. «So, da sind wir – Herr im Himmel, tut das gut, hier zu sein! Nanu, Kind, du bist ja eingeschlafe n …» Er hob sie, noch ganz schläfrig, aus dem Aut o …
    Und dann die erleuchtete Haustür, Powder, der Butler, der unvermeidliche Briefstapel – und Pauline.
    Draußen webte die Frühlingsdämmerung verstohlen an ihrem samtigen Zauber. «Würde mich nicht wundern», dachte er, «wenn ich heute Nacht zehn Stunden durchschlafen würde.»
    21
    Der letzte Tag vor der Ankunft ihres Mannes war für Pauline strapaziös gewesen; aber das Resultat war unleugbar die Anstrengung wert. Wann hatte sie je zuvor Dexter im Brustton der Zufriedenheit sagen hören: «Herr im Himmel, tut das gut, wieder hier zu sein! Was hast du nur gemacht, dass das Haus so hübsch aussieht?», oder hatte seinen lächelnden Blick so aufmerksam durch die große Halle mit ihren Lampen und Blumen und dem flackernden Kamin schweifen sehen? «Na, Lita, das ist besser als die Stadt, nicht wahr? Du wusstest gar nicht, was für ein schöner Ort Cedarledge sein kann! Lauf nicht nach oben – sie bringen das Kind schon herunter. Komm ans Feuer und wärm dich auf; es ist bitter kalt hier in den Bergen. Hallo, Nona, du stille Maus – hab dich gar nicht gesehen, so hast du dich in deiner Ecke verkroche n …»
    Ja, die Ankunft war tadellos gewesen. Selbst Litas Kuss hatte spontan gewirkt. Und Dexter hatte alles gelobt und alle Verbesserungen wahrgenommen; hatte freiwillig angekündigt, am nächsten Morgen die neue Heizung und den mustergültigen Brutschrank zu besichtigen. «Wunderbar, wie du Dinge, die scheinbar in Ordnung waren, noch um hundert Prozent verbessern kannst! Vermutlich sind morgen sogar die Frühstückseier doppelt so groß.»
    Eine einzige solche Bemerkung entlohnte seine Frau für all ihre Arbeit und stachelte ihre Erfindungsgabe zu neuen Taten an. Konnte sie sich nicht noch etwas ausdenken, was sein Lob hervorrief? Und das Schöne daran war, dass alles so aussah, als wäre es ganz leicht gewesen. Ein

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