Dämmerschlaf - Roman
gezeigt, dass sie ungeschminkt war. Er erinnerte sich dessen mit einem gewissen Vergnügen und entließ sie dann aus seinem Gedächtnis – oder vielmehr, sie fiel von selbst heraus. Er war nicht in der Stimmung, lang über irgendjemanden oder irgendetwas nachzudenke n … er genoss seine Trägheit und Gleichgültigkeit in vollen Zügen.
«Tee? Ja, und unbedingt einen Muffin mit Butter. Oder mehrere. Ich habe einen Bärenhunger. Hab heute früh eine Riesenwanderung unternommen, noch bevor einer von euch wach wurde. Mrs Toy ist mir über den Weg gelaufen und hat mich in ihrem neuen Zweisitzer heimgebracht. Eine richtige Schönheit – das Auto, meine ich –, du wirst dir auch so eins zulegen müssen, Non a … Herrgott, wie gut sich’s hier am Feuer sitz t … und was riecht hier so süß? Nelken – meine Güte, die sind ja riesig! Morgen müssen wir uns die Gewächshäuser ansehen, Pauline, und auch alles andere. Ich möchte eine Bestandsaufnahme von all deinen Neuerungen machen.»
In diesem Augenblick fühlte er sich sogar der Besichtigungstour samt all der damit verbundenen Daten und Berechnungen gewachsen. Alles schien einfach, jetzt, wo er gemerkt hatte, dass er sein Mondlichtfieber abschütteln konnte durch ein paar Stunden mit einer hübschen Frau, die nichts dagegen hatte, sich küssen zu lassen. Übermorgen würde er Mrs Toy wiedersehen, und in der Zwischenzeit würde er nur dann an sie denken, wenn es keine interessantere Beschäftigung gab.
Als er ein Zündholz an seine Pfeife hielt, kam Lita ins Zimmer geglitten. Der Junge lag an ihrer Schulter, und sie erinnerte an eine von Crivellis 50 rätselhaften Madonnen, ein rothaariges Jesuskind auf dem Arm.
«Du meine Güte! Ist das Frühstück oder Tee? Ich habe nach unserer Spritztour offenbar verschlafen», sagte sie und schenkte Manford ein träges Lächeln.
Sie ließ sich vor dem Kamin auf die Knie nieder und hielt Pauline den Jungen hin. «Gib Großmama einen Kuss», befahl sie mit ihrer leicht spöttischen Stimme.
Das war sehr hübsch, sehr geschickt inszeniert, aber Manford sagte sich, dass sie ein wenig zu ichbezogen war und sich die Lippen ein wenig zu sehr anmalte. Außerdem hatte er hohlwangige Frauen mit hohen Wangenknochen schon immer verabscheut. Genüsslich überließ er sich der Erinnerung an diesen Nachmittag.
23
Auf dem Land gingen die Uhren fraglos anders als in der Stadt.
Das Dinner für Amalasuntha war in die Wege geleitet, die Einladung an die Toys verschickt; nun blieben von dieser endlosen Woche, die so schnell hätte vergehen müssen, immer noch zwei Tage. Doch alles war genau nach Paulines Wünschen verlaufen. Dexter hatte tatsächlich die versprochene Runde durch Haus und Park absolviert und seine Besichtigung auf die Molkerei, den Geflügelhof und das Spritzenhaus ausgedehnt. Und er hatte alles gelobt – fast zu rasch und unkritisch. Interessierte es ihn vielleicht zu wenig, als dass er Mängel kritisiert oder zumindest auf sie hingewiesen hätte? Dieser Verdacht, der in seiner Frau aufkeimte, als er durch die Kuhställe ging, ohne sich zu dem nicht funktionierenden neuen Belüftungssystem zu äußern, wurde zur Gewissheit, als sie bei der Rückkehr ins Haus vorschlug, zusammen die Rechnungen zu kontrollieren. «Ach, wenn der Architekt sie abgesegnet ha t … Außerdem ist es jetzt zu spät, um noch etwas zu unternehmen, findest du nicht? Und die Ergebnisse sind so großartig, dass ich mir nicht vorstellen kann, sie seien überbezahlt. Alles ist doch perfek t …»
«Aber nicht die Belüftung im Stall mit den Alderneys 51 , Dexter.»
«Na, gut, kann man das nicht regeln? Wenn nicht, verbuche es als Erfolg. Noch nie hat mir etwas so viel Spaß gemacht wie das Schwimmen heute Morgen. Du hast es geschafft, dass das Wasser im Becken genau auf die richtige Temperatur erwärmt wird.» Er schlüpfte hinaus zu Nona auf das Putting Green unterhalb der Terrasse.
Ja, alles war in bester Ordnung; er war offenbar entschlossen, alles für in bester Ordnung zu halten. Bei Michelangelos Schulden war es genauso gewesen. Anfangs hatte er sich dem Vorschlag seiner Frau, ihren Verwandten bei der Abzahlung zu helfen, damit der junge Mann nicht in New York auftauchte, widersetzt, dann hatte er der Marchesa plötzlich versprochen, die ganze Summe zu übernehmen, und Pauline kein Wort davon gesagt. Es war, als habe er sich einem unergründlichen, geheimen Ziel verschrieben und sei entschlossen, alles beiseitezuräumen, was dessen beharrliche
Weitere Kostenlose Bücher