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Dämmerschlaf - Roman

Dämmerschlaf - Roman

Titel: Dämmerschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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tragbaren Telefon und dem klappbaren Betttisch bis zu dem großen Dreifachspiegel, der keine Rundung der widergespiegelten Schönheit ausließ –, dass selbst Litas nachlässige Lebensweise von der herrschenden Ordnung gebändigt schien.
    Lita ruhte auf dem Sofa, einer ihrer langen Arme hing herab, den anderen hatte sie mit der uralten Attitüde der schlafenden Schönen hinter den Kopf geschoben. Der Schlaf lag leicht auf ihr, wie auf allen, die ihn nach Belieben herbeirufen können. Es war die übliche Flucht vor der Langeweile zwischen den Sensationen, und in Daseinspausen wie der jetzigen ergriff Lita diese Flucht nach jeder Runde Sport im Freien.
    Nona trat auf Zehenspitzen näher und blickte auf sie hinab. Wer hatte behauptet, der Schlaf enthülle die wahre Natur des Menschen? Vielmehr ließ er sie durch den Schleier seines eigenen Geheimnisses nur noch rätselhafter erscheinen. Litas Kopf war in die Beuge ihres dünnen Arms gebettet, die Lider wölbten sich über den hohen, von den goldenen Wimpern nur leicht berührten Wangenknochen, der blasse Bogen des Mundes war entspannt, der dünne, stahlharte Körper hinter einem sich öffnenden geblümten Morgenmantel halb zu sehen. So preisgegeben, mit erloschenem Blick und gelösten Muskeln, schien sie nur noch ein Bündel widersprüchlicher Launen, durch den feinen Faden der Schönheit zusammengehalten. Die Hand des hängenden Arms zeigte entspannt mit der Innenfläche nach oben. In ihrer kleinen Höhlung lag das Schicksal dreier Leben. Was würde sie damit anfangen? Wer konnte ahnen, was sie wusste, was sie plante oder sich einbildete – wie sollte man sie sich in einer dauerhaften menschlichen Beziehung zu irgendjemandem oder irgendetwas vorstellen?
    Sie schlug die Augen auf, und eine träge Neugier stieg in ihnen hoch. «Du? Ich muss eingeschlafen sein. Ich habe versucht zu zählen, wie viele Monate wir schon hier sind, und Zahlen schläfern mich immer ein.»
    Nona lachte und setzte sich ans Fußende des Sofas. «Du liebe Zeit – gerade als ich dachte, du beginnst dich hier wohlzufühlen!»
    «Aber das nennt ihr doch Wohlfühlen – auf dem Land?»
    «Auf dem Rücken zu liegen und sich zu fragen, wie viele Monate eine Woche ha t …»
    «Eine Woche? Ist es erst eine Woche her? Wie um alles in der Welt willst du das so genau wissen, wenn ein Tag ist wie der andere?»
    «Morgen nicht. Morgen ist die Fressorgie für Amalasuntha und danach Tanz. Mutters Vorstellung vom einfachen Leben.»
    «Ach, die Vorstellungen deiner Mutter sind alle einfach.» Lita gähnte, und ihr blassrosa Mund fiel auseinander wie eine verwelkte Blume. «Außerdem dauert es bis morgen noch eine Ewigkeit. Wo ist dein Vater? Er wollte mich auf eine Spritztour in dem neuen Buick mitnehmen.»
    «Dann hat er sein Versprechen gebrochen. Hat uns alle im Stich gelassen und sich allein nach Greystock verdrückt.»
    Eine leichte Röte legte sich über Litas Wangenknochen. «Greystock und Gladys Toy? Ist das seine Vorstellung vom einfachen Leben? Passt gut zu der deiner Mutte r … Ist dir schon mal aufgefallen, was die Toy für Fesseln hat?»
    Nona lächelte. «Die sind nicht zu übersehen. Aber du vergisst, dass Vater allmählich ein älterer Herr wir d … Väter können nicht wählerisch sei n …»
    Lita verzog ein wenig das Gesicht. «Oh, er könnte etwas Besseres haben. Wollte nicht der alte Cosby, der hundertmal älter aussieht, dich heiraten ? … Nona, mein Schatz, lass uns doch den Ford nehmen und nach Greenwich zum Dinner fahren. Hätte deine Mutter etwas dagegen? Will sie uns den lieben langen Tag um sich haben?»
    «Ich geh sie fragen. Aber an einem Freitagabend ist es im ‹Country Club› sterbenslangweilig. Da spielen nur ein paar alte Damen Bridge.»
    «Gut, dann haben wir die Tanzfläche für uns allein. Ich muss ordentlich üben, und dort ist ein prima Parkett. Wir können mit den Kellnern tanzen. Es macht Spaß, die alten Damen zu schockieren. Einer der Kellner ist mir neulich aufgefallen, muss ein Italiener sein, hat einen Körperbau wie Tommy Ardwi n … der tanzt bestimm t …»
    Nur das bedeutete für Lita Leben, jetzt und für alle Zeiten: ein guter Tanzboden, auf dem sie neue Schritte üben konnte, Männer – irgendwelche Männer –, mit denen sie tanzen und von denen sie sich umschmeicheln lassen konnte, Frauen – irgendwelche Frauen –, die sie anstarrten und beneideten, langweilige Leute, die sie verblüffen, dumme Leute, die sie schockieren konnte. Niemals jedoch ein

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