Dämmerschlaf - Roman
Verfolgung zu behindern drohte. Sie kannte ihn so versunken, wenn er von einem «wichtigen Fall» gefesselt war. Aber jetzt gab es keine Anzeichen für eine berufliche Inanspruchnahme, keine Telefonate, keine Telegramme, keine eilends anreisenden Juniorpartner oder Prokuristen. Er schien mit all den anderen Sorgen auch die Kanzlei abgeschüttelt zu haben. Seine Heiterkeit und gute Laune hatte etwas, was sie dunkel ängstigte.
Einmal wollte sie es beinahe einem Interesse – einem übertriebenen Interesse – an der Frau seines Stiefsohns zuschreiben. Dieser Gedanke hatte Pauline schon einmal gestreift; sie spürte noch seinen eisigen Hauch, als ihr Mann an jenem Abend unerwartet heimgekommen war und so ernst und vernünftig mit ihr darüber gesprochen hatte, dass er Lita und den Jungen nach Cedarledge holen wolle. Es war nur die Spur eines Zweifels, nicht mehr, und selbst damals hatte Pauline das Groteske daran empfunden und den Gedanken angeekelt und ängstlich von sich gewiesen.
Jetzt musste sie über ihre Angst lächeln. Ihr Mann verhielt sich Lita gegenüber tadellos – ungezwungen, fröhlich, wenn auch mit einem Schuss ins Ironische. Zur Zeit von Jims Heirat hatte Dexter genauso gelächelt. Er hatte die Braut albern und anmaßend gefunden, hatte sogar ihr gutes Aussehen in Frage gestellt. Und nun zeigte die erste Woche in Cedarledge, dass seine Haltung zwar freundlicher geworden war, aber nur Jim zuliebe, nicht um Litas willen. Nona und Lita steckten den ganzen Tag zusammen; stieß Manford dazu, behandelte er beide gleich, so wie ein Mann zwei verwöhnte, spaßige Töchter eben behandelt.
Was ging ihm dann im Kopf herum? Vielleicht wieder Gladys Toy? Pauline hatte gedacht, das sei vorüber. Aber selbst wenn es nicht vorüber war, beunruhigte es sie nicht mehr. Schon früher hatte sie bei Dexter mehrmals ein ähnliches «Auflodern» erlebt, und es war nie von Dauer gewesen. Außerdem hatte sie als Ehefrau eine gewisse philosophische Gelassenheit entwickelt und war bereit, bei ihrem zweiten Ehemann nachsichtiger zu sein als beim ersten. Wenn Frauen älter werden, müssen sie sich klarmachen, dass ihre Männer nicht immer mit ihnen Schritt halte n …
Nicht dass sie sich zu alt fühlte, um von Manford geliebt zu werden. An dem Abend, als er sie das Essen bei den Rivingtons absagen ließ, waren all die Hoffnungen von einst wieder in ihr erwacht. Aber der Traum hatte jenen Abend nicht überlebt. Damals hatte sie begriffen, dass er mit ihr nur «gut Freund» sein wollte; das war alles, was die Zukunft für sie bereithielt. Nun ja, für eine Großmutter musste das eigentlich genügen. Sie konnte diese dummen alten Frauen nicht ausstehen, die erwarteten, dass «dergleichen Unsinn» andauerte. Dennoch gedachte sie nach der Rückkehr in die Stadt einen neuen Russen zu konsultieren, der eine Radiumkur erfunden hatte, die Falten völlig zum Verschwinden brachte. Er bezeichnete sich als «Wissenschaftlichen Spiritualisten » … Dieser Begriff faszinierte sie.
Der Empfang für den Kardinal und die damit verbundenen dringenden Vorarbeiten lenkten sie zum Glück von diesen beunruhigenden Fragen ab. Selbst ohne Maisie konnte sie eine ganze Menge vorbereitende Briefe und Telefonate erledigen, doch es schmerzte sie, wie sehr ihre Handschrift durch das seit Langem zur Gewohnheit gewordene Diktieren gelitten hatte. Heutzutage schrieb sie keinen Brief mehr eigenhändig – allenfalls an einen vornehmen Ausländer, denn diese hielten maschinengeschriebene Briefe für unmanierlich, hatte Amalasuntha ihr erklärt. Ihre ungeübte Schrift war so steif und gleichzeitig schlampig geworden, dass sie beschloss, ihre Hände wie die anderen ungenutzten Muskeln «behandeln» zu lassen. Aber woher die Zeit nehmen für diese neue, unerlässliche Kur? Ihre Laune hob sich bei dem belebenden Gefühl, wieder in Eile zu sei n …
Nona saß auf der Südterrasse in der Sonne. Das Cedarledge-Experiment dauerte jetzt acht Tage, und zugegeben, es ließ sich besser an, als sie es für möglich gehalten hatte.
Lita machte ihnen erstaunlich wenig Mühe. Seit der ersten Flucht nach Greenwich hatte sie nie mehr Lust auf Varietés und Nachtclubs gezeigt, sondern sich auf die erregende Alternative anstrengender Sportarten im Freien gestürzt. Nach stundenlangem ermüdendem Training verfiel sie in träumerische Mattigkeit und ließ sich von äußeren Ereignissen nicht mehr aus der Ruhe bringen. Sie sprach nie über ihren Mann. Nona wusste nicht, ob Jims
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