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Dämmerschlaf - Roman

Dämmerschlaf - Roman

Titel: Dämmerschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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häufige – allzu häufige – Briefe beantwortet oder auch nur gelesen wurden. Lita lächelte unbestimmt, wenn sein Name fiel, und als ihre Schwiegermutter einmal eine Andeutung bezüglich der Zukunft wagte, antwortete sie nur: «Ich dachte, wir seien hier, um von Plänen kuriert zu werden.» Woraufhin Pauline ihren Schnitzer mit einem Lächeln vergessen machte.
    Nona selbst fühlte sich immer mehr wie ein Späher im Schützengraben, wie sie während des Krieges in den Zeitungen abgebildet gewesen waren. Da saß sie nun beengt im Dunkeln, die Augen an den Schlitz des Periskops gedrückt, und blickte auf die scheinbare Leere. Sie hatte sich oft gefragt, woran diese Männer in den endlosen Stunden des Wachehaltens dachten, wenn tagelang, wochenlang nichts geschah, wenn nicht der leiseste Schatten eines Feindes über das Fleckchen Niemandsland schlich. Was bewahrte sie davor, einzuschlafen oder sich in Tagträumen zu verlieren und dann, wenn ein Angriff drohte, das Warnsignal zu vergessen? Sie malte sich aus, wie einer abgeführt und im Schlamm von Flandern 52 erschossen wurde, weil er sich im entscheidenden Augenblick auf heimatlichem Wiesengrund schlummernd gewähnt hatt e …
    Seit ihrem Gespräch mit Aggie Heuston breitete sich eine Art Curare 53 in ihren Adern aus. Sie war sich aller Vorgänge ringsum sehr wohl bewusst, fühlte sich aber unfähig, sich zu irgendetwas aufzuraffen. Selbst wenn noch einmal etwas von Belang geschehen sollte – wäre sie je in der Lage, die lastende Gleichgültigkeit abzuschütteln? Waren seit dem Gespräch mit Aggie tatsächlich schon zehn Tage vergangen? Und hatten sich all die unheilvollen Prophezeiungen erfüllt, ohne dass sie einen Finger gerührt hatte? Sie erinnerte sich dunkel, aus einer Stimmung scheinbar heroischer Selbstverleugnung heraus gehandelt zu haben; heute hatte sie das Gefühl, damals wie betäubt gewesen zu sein. Was nutzten edle Motive, wenn sie einen im Stich ließen, sobald die Glut erloschen war?
    Sie dachte: «Ich komme mir vor wie der älteste Mensch auf Erden und dennoch so, als hätte ich noch ewig zu lebe n …» Und es schauderte sie vor Einsamkeit.
    Sollte sie gehen und die anderen aufstöbern? Was änderte das? Sie konnte ihrer Mutter, die oben über ihrer Gästeliste saß, Hilfe bei den Briefen anbieten, oder bei Lita vorbeischauen, die nach dem scharfen Galopp am Morgen wahrscheinlich schlief, oder ihren Vater suchen und ihm einen Spaziergang vorschlagen. Sie hatte ihren Vater seit dem Lunch nicht gesehen, aber sie meinte sich zu erinnern, dass er sich seinen neuen Buick hatte vorfahren lassen. Wieder we g … er war genauso ruhelos wie die anderen. Heutzutage waren alle ruhelos. Hatte er Lita vielleicht mitgenommen? Nun, warum nicht? War er nicht hier, um sich um Lita zu kümmern? Plötzlich regte sich in Nona Neugier; sie erhob sich und schlich leise nach oben zum Zimmer ihrer Schwägerin. Warum setzte sie ihre Schritte so schleppend, als hielte eine verborgene Macht sie zurück und warnte sie stumm, nicht zu gehen? Was für ein Unsinn! Besser sie gestand es sich endlich ein und gab z u …
    «Verzeihung, Miss.» Der allgegenwärtige Powder tauchte hinter ihr auf. «Wenn Sie in Mrs Manfords Salon hinaufgehen, würden Sie ihr freundlicherweise ausrichten, dass Mr Manford angerufen hat? Er kommt erst spät aus Greystock zurück, und sie soll bitte nicht mit dem Essen warten.» Powder machte ein Gesicht, als würde er diese Nachricht lieber nicht selbst überbringen.
    «Greystock? Aha, gut. Ich sage es ihr.»
    Wieder Golf – Golf und Gladys Toy. Nona verabschiedete sich endgültig von ihrer fixen Idee. Es sollte ihr wirklich eine Lehre sein. Da bildete sie sich wegen ihres Vaters alle möglichen morbiden Schrecklichkeiten ein, dabei handelte es sich einfach um den völlig normalen Flirt eines älteren Mannes mit einer dummen Frau, die er vergessen würde, sobald er wieder in der Stadt war! Genau der richtige Zeitvertreib für die Osterferien. «Schließlich hat er auf das Tarpunfischen verzichtet, um hierherzukommen, und Gladys ist kein schlechter Ersatz – zumindest was das Gewicht anbelangt. Sportlich gesehen aber weit weniger aufregend.» Ein trübes Fünkchen Heiterkeit flackerte in ihr auf.
    Leise stieß sie die Tür zu einem der perfekt eingerichteten Gästezimmer auf; es war so sorgfältig mit allem praktischen Komfort versehen – von den elegant eingepassten Fensterventilatoren bis zu den Frisiertischlampen mit Gelenkarmen, vom kleinen

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